Die Heilerin
nur dass Dirck seine Brüder hat, die ihn leiten können. Pastorius aber ist alleine. Er sucht den Anschluss an unsere Gemeinschaft, und vielleicht hofft er, ihn durch dich zu finden.«
»Du meinst, er liebt mich nicht?«
Gretje seufzte und schloss wieder die Augen. »Das weiß ich nicht, und es sorgt mich.« Sie holte krampfhaft Luft.
»Moedertje, komm zur Ruhe, streng dich nicht an«, flehte Margaretha. »Magst du nicht doch einen Schluck von der Brühe trinken?«
Sie hielt Gretje die Schüssel an die Lippen, stützte ihren Kopf, doch Gretje konnte nur nippen, sank dann zurück und schlief schließlich wieder ein.
Die Küche hatte sich inzwischen geleert. Die Männer saßen vor dem Kamin in der Stube, Esther spülte das Geschirr, Rebecca brachte die Kinder zu Bett, und Catharina war gegangen.
»Wie geht es Mutter?«, fragte Esther. Sie gab Margaretha eine Schüssel Eintopf und einen Kanten Brot.
Margaretha schüttelte nur den Kopf. Sie aß, aber es schmeckte ihr nicht. Auch in Krefeld hatten sie so manches Mal nur karge Speisen gehabt, doch hier war es schlimmer. Sie hatten gepökeltes Fleisch gekauft, es war fast nicht genießbar. Das Mehl, das sie für viel Geld erworben hatten, war voller Schrot und Kleie. Der Kohl schmeckte vergoren, und die Wurzeln waren klein und holzig.
»Wie soll das werden?«, fragte sie ohne Mut.
»Der Schneesturm wird vorüberziehen, Hartje«, versuchte Esther sie zu beruhigen. »Dann können wir wieder nach Philadelphia.«
Margaretha hoffte, dass ihre Schwägerin recht behalten würde. Sie knetete den Brotteig, stellte ihn zum Gehen neben den Ofen, bevor sie sich schlafen legte.
Der Wind pfiff um das Haus, es zog durch die Ritzen und Fugen, die Kälte kroch vom Boden hoch. Das kleine Feuer in dem Becken kämpfte vergeblich gegen die eisige Luft an. Gretje atmete flach, aber sie schien zu schlafen. Margaretha stopfte die Decke um sie fest, strich ihr sanft über die Stirn, dann schlüpfte sie in ihr Bett. Jonkie rollte sich zu ihren Füßen zusammen, schob die Schnauze unter die Rute. Immer wieder schreckte Margaretha aus ihrem leichten Schlaf hoch. Das Gebälk knackte, Eiszapfen lösten sich klirrend von der Dachtraufe, in der Ferne heulten Wölfe. Besorgt schaute sie nach ihrer Mutter, doch Gretjes Zustand blieb unverändert.
Am frühen Morgen hörte sie knirschende Schritte vor der Hütte, jemand klopfte energisch an die Tür.
»Meine Frau liegt in den Wehen«, rief jemand. Es war die Stimme von Johann Lenßen. »Wir brauchen Hilfe.«
Margaretha sprang aus dem Bett und zog sich hastig an. Sie hatte Mercken Lenßen vor ein paar Tagen besucht, da sah es noch nicht nach einer nahenden Geburt aus. Schnell überprüfte sie die Kräutervorräte in ihrem Korb, nahm ihr Umschlagtuch und die Haube. Bevor sie das Zimmer verließ, küsste sie Gretje zum Abschied, ihre Mutter war nicht wach geworden.
»Schnell, schnell«, drängte Johann sie.
»Esther, bitte schau nach Mutter. Es geht ihr nicht gut.« Margaretha fiel es schwer zu gehen, obwohl sie wusste, dass Mercken ihre Hilfe benötigte.
»Die Wehen haben gestern Nachmittag eingesetzt. Zuerst ging es ihr gut, aber vor zwei Stunden hat sie angefangen zu bluten.«
»Das kann schon mal sein«, versuchte Margaretha den werdenden Vater zu beruhigen.
»Ich habe unseren Sohn zu den Nachbarn gebracht und bin dann los, um Euch zu holen. Ich mache mir so Sorgen um meine Frau. Die erste Geburt war ganz anders.«
Margaretha horchte auf. »Wie das?«
»Vor zwei Jahren, als sie das erste Kind bekam, da hat es nur einige Stunden gedauert. Sie hatte zwar Schmerzen, aber nicht so wie diesmal. Auch hat sie nicht so geblutet.«
Margaretha überlegte, sie hatte noch einige Himbeerblätter, um einen Aufguss zu bereiten. Zudem die Wurzeln des Beinwells. Doch wenn die Geburt schon vorangeschritten war, würde sie nicht genügend Zeit haben, um einen lindernden und krampflösenden Brei zu bereiten.
Der Wind blies ihnen die kleinen und harten Schneekristalle ins Gesicht, die Kälte brannte auf ihren Lippen. Immer wieder strauchelte sie in den hohen Schneeverwehungen. Lenßen fasste sie am Arm und zog sie mit sich. Die Hütte der Familie Lenßen lag am anderen Ende der Straße. Sie kamen nur schwer vorwärts, es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie schließlich die Hütte erreichten. Doch schon von weitem konnte Margaretha die Schreie der Frau in den Wehen hören. Johann zuckte zusammen, beschleunigte seinen Schritt.
Endlich hatten sie die
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