Die Heilerin
dunkel, als sie die Siedlung erreichten. Margaretha führte sie zu Hermanns Hütte. Der unverletzte Wilde sah sich misstrauisch um.
»Wir brauchen Hilfe«, sagte Margaretha. »Wir haben einen Verletzten.« Hermann kam zur Tür, verwundert schaute er die Männer an. »Schnell, er ist in ein Fangeisen getreten. Die Wunde blutet stark, ich habe sie nur notdürftig verbinden können.«
Hermann und Dirck trugen den Mann in die Stube. Der zweite Wilde nickte Pastorius zu, ging dann zu ihm, befühlte dessen Oberarme und lächelte anerkennend. Dann sagte er leise etwas, schaute sich noch einmal um und ging zurück in den Wald.
»Du bringst einen Wilden mit hierher?«, fragte Abraham unwirsch. Die Siedler hatten das eine oder andere Mal schon Wilde in Philadelphia gesehen, hatten jedoch Distanz zu ihnen gewahrt.
»Er ist verletzt«, sagte Hermann. »Das siehst du doch. Es ist das Gebot der Nächstenliebe, dass wir ihm helfen.«
»Er stinkt!«
»Liever Hemel, Abraham, hör auf zu lamentieren und hol mir lieber Kerzen, damit ich mir die Wunde ansehen kann.« Margaretha kniete sich vor den Verletzten, nahm behutsam dessen Fuß auf ihren Schoß. »Es wird wehtun«, sagte sie und sah ihn an.
Er schaute ausdruckslos, schien fast schon gelangweilt zu sein, doch sie konnte seine angespannten Muskeln spüren. Wie musste es für ihn sein, in dieser Hütte unter Fremden, verletzt und hilflos, ohne ein Wort zu verstehen? Er dauerte sie.
Vorsichtig löste sie den Verband, nahm die blutgetränkten Flechten von der Wunde. »Ich brauche warmes Wasser und meinen Kräuterkorb.«
Sie überlegte, die Wunde war tief, Arnika und Goldrute würden bei der Heilung helfen. Doch vorher musste sie die Wunde reinigen. Esther brachte ihr eine Schüssel mit heißem Wasser und einige Tücher. Margaretha tat etwas Lavendel und ein wenig Angelikakraut in das Wasser, ließ es einen Moment ziehen. Dann wusch sie die Wunde aus. Der Mann zuckte zusammen, aber kein Laut drang über seine Lippen. Margaretha tastete vorsichtig entlang der gebrochenen Knochen, schob sie mit festen Bewegungen wieder in die richtige Stellung und richtete die Brüche, so gut sie konnte.
»Nicht bewegen«, ermahnte sie den Mann, biss sich dann auf die Lippen. Doch obwohl er ihre Sprache nicht kannte, schien er sie verstanden zu haben.
Sie fertigte einen Breiumschlag an, legte ihn auf die Wunde, schiente dann den Fuß mit zwei Hölzern und umwickelte ihn fest mit Leinenbändern.
»Und nun?«, fragte Abraham. »Was wird jetzt mit ihm?«
»Jetzt werden wir essen. Danach werden wir ihm eine Schlafstatt bereiten.«
Margaretha nahm den Korb mit den Beeren und ging in die kleine Küche.
»Du willst ihn hier schlafen lassen?«
»Willst du ihn etwa verletzt in die Wildnis zurückschicken? Abraham, es ist inzwischen Nacht.«
»Ich kann nicht glauben, dass du einen Wilden mit zu uns gebracht hast.«
»Und ich kann nicht glauben, dass du ihn verletzt im Wald hättest liegen lassen.« Margaretha spürte, wie der Zorn in ihr hoch kroch.
»Ich schon«, wisperte Esther. »Der hätte ihn keines Blickes gewürdigt.«
Erstaunt sah Margaretha ihre Schwägerin an, die eifrig im Kessel rührte.
»Meinst du wirklich?«, fragte sie leise.
»Abraham wird immer härter, immer verhärmter. Wir haben heute Mittag über die Vorräte gesprochen. Die Theißens haben so gut wie nichts mehr. Beatrix lässt die Kinder auf Rindenstücken kauen, damit sie nicht vor Hunger weinen. Abraham meint, sie seien selbst schuld. Auf dem Schiff hätten sie in großem Stil gelebt, und nun müssen sie eben darben.«
»Im großen Stil hat niemand gelebt, aber sie waren nicht besonders achtsam, was das angeht. Und doch sind wir eine Gemeinschaft und müssen uns auch so verhalten.« Margaretha seufzte.
»Das hat Hermann auch gesagt. Sehr deutlich sogar. Vermutlich hat Abraham deshalb schlechte Laune.«
»Wo ist eigentlich Catharina?«
»Wo wohl? Da, wo sie immer ist, in ihrer Hütte. Sie kommt erst, wenn das Essen angerichtet ist. Sie scheint das zu riechen.«
Die beiden Schwägerinnen sahen sich an, kicherten dann leise.
»War es wirklich ein Fehler, den Verletzten hierher zu bringen?«, fragte Margaretha nachdenklich.
»Das fragst du doch nicht im Ernst? Hättest du ihn im Schnee liegen lassen sollen?«
»Wir kennen die Wilden nicht, wissen nicht, was sie tun werden.«
»Was sollen sie schon tun, außer uns zu danken, dass wir einem der ihren geholfen haben. Sieh ihn dir an, er ist ein Mensch wie du und
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