Die Heilerin
schöpften wieder Hoffnung.
Obwohl das Weihnachtsfest vergangen war, Neujahr bescheiden gefeiert, machte Pastorius keine Anstalten, wieder abzureisen. Jeden Abend trafen sich die Männer, diskutierten und berieten. Tagsüber schlugen sie Holz, stellten Fallen und legten Schlingen, erkundeten die Umgebung. Sie planten schon die anstehenden Arbeiten des kommenden Frühjahrs. Die Wälder beidseits der Straße mussten gerodet, Felder und Gärten angelegt werden. An dem Flusslauf, der die Siedlung östlich begrenzte, konnte man eine Mühle bauen. Es gab mehrere Quellen, und Tönis Kunders träumte vom ersten selbstgebrauten Bier.
Eines Nachmittags im Januar wollte Margaretha in den Wald. Es hatte schon seit zwei Wochen nicht mehr geschneit,aber es war unverändert kalt geblieben. Der verharschte Schnee ermöglichte gutes Vorwärtskommen.
»Darf ich Euch begleiten?«, fragte Pastorius.
Sie sah ihn nachdenklich an, nickte dann und nahm ihren Korb.
»Was wollt Ihr denn im Wald?« Pastorius zog den Mantel an, knöpfte ihn umständlich zu.
»Ich brauche Weidenrinde, die finde ich am Flussufer, und auch Lärchen habe ich gesehen. Eigentlich ist dies nicht die Zeit, um zu sammeln und zu ernten – Rinde schneidet man im Frühjahr, wenn die frischen Säfte durch den Baum ziehen, aber meine Vorräte gehen zur Neige, und die Krankheiten häufen sich, weil die Menschen geschwächt sind.« Sie seufzte. »Mit ein wenig Glück finden wir Ebereschen und Brombeeren. Die Früchte mögen gefroren sein, aber man kann sie noch gebrauchen.«
Er nahm den Korb, ging voran. »Viele sind erkrankt«, sagte er betrübt.
»Es werden immer mehr. Einige Kinder fiebern, zwei alte Frauen siechen dahin, Husten quält sie. Jan Lucken hat sich mit dem Beil in den Fuß geschlagen, die Wunde eitert. Abraham Tunes hat seit Wochen einen Abszess. Seine Frau leidet immer wieder unter Milchstau. Immerhin geht es ihrem Säugling gut.«
Margaretha schluckte. Sie hatte die erste Geburt in der Siedlung noch nicht verwunden. Beim zweiten Kind der Siedler, das wenige Tage später kam, war alles gut gegangen.
»Margaretha, Ihr mögt der Kräuterkunde mächtig sein, aber Ihr könnt nicht alle retten oder erlösen.«
»Nein, dazu fehlen mir die Mittel.« Sie blieb stehen, sah ihn an. »Viele der Krankheiten und Leiden könnte ich lindern oder sogar heilen, wenn ich die richtigen Kräuter, Tinkturen und Pulver hätte.« Sie zog ihre Haube zurecht, setzte den Weg fort. »Ich habe sie aber nicht. Genauso wenig wie gute Nahrung, um die Schwachen zu stärken.«
Pastorius stöhnte. »Ich weiß. Das bedrückt mich auch. Aber wie soll ich das ändern? Ich tue, was in meiner Macht steht.«
Margaretha warf ihm einen kühlen Blick zu, stapfte dann weiter.
»Margret, ich habe das Gefühl, dass Ihr mir zürnt.«
Überrascht blieb sie stehen. »Nein, durchaus nicht. Wie kommt Ihr darauf?«
»Ich war derjenige, der Eure Familie und all die anderen in dieses Land gelockt hat. Und nun ist es doch anders, als wir es uns vorgestellt haben.«
»Das stimmt. Aber es war doch unsere Entscheidung, hierher zu kommen.« Sie seufzte. »Wir haben es uns leichter vorgestellt. Einfacher. Aber Ihr auch, Franz Daniel. Euch trifft keine Schuld an dem harten Winter. Wären wir eher aufgebrochen, hätten wir uns besser bevorraten können. Aber nun ist es so, wie es ist. Wir müssen das Beste daraus machen.«
»Eure Mutter ist gestorben …«
Wieder blieb sie stehen, schluckte hart. »Ja, Moedertje ist von uns gegangen, und zuerst habe ich auch die Reise und dieses Land verflucht. Doch meine Mutter hat ein gesegnetes Alter erreicht. Ob sie diesen Winter in Krefeld überstanden hätte, weiß niemand. Sie hat nicht lange gelitten, ist friedlich eingeschlafen, das tröstet mich.« Sie sah Pastorius an. »Anschuldigungen sind dumm und nutzlos, sie helfen nicht weiter, verhärten nur das Herz und verpesten die Seele. Wir müssen nach vorne schauen und versuchen, das Gute zu sehen. Und nun kommt, sonst haben wir die Zeit vergeudet und nichts erreicht.«
»Ich bewundere Euch«, sagte Pastorius leise. »Ihr seid eine außergewöhnliche Frau.«
Margaretha biss sich auf die Lippen. Sie musste an die letzten Worte ihrer Mutter denken. Gretje hatte sie vor Pastorius gewarnt. Ach, Moedertje, dachte sie betrübt, ich hoffe, du hast dich getäuscht. Ich mag ihn nämlich sehr.
Sie erreichten den Bachlauf. Eine Eisschicht bedeckte das Wasser, doch unter dem Eis gluckerte es.
»Es gibt viele Quellen
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