Die Heilerin
verfolgten uns. Hier in der Gasse wurde mir klar, dass wir nur vor die Stadtmauer liefen, und ich hielt inne.« Ihm versagte die Stimme. »Und dann schlugen sie zu«, murmelte er leise.
»Nun, nun«, sagte Gretje leise. Sie strich Dirck über die Schulter und sah ihren Mann an. Isaak schüttelte entsetzt den Kopf.
»So was. Gottegot. Der Winter beginnt erst. Wie soll das nur werden?«, sagte er verbittert.
»Nein, nicht alle Protestanten sind so, Mijnheer op den Graeff, nein.« Hinrich Beuken schüttete Isaak Branntwein nach. »Was passiert ist, ist furchtbar. Es wird auch ganz sicher in der Gemeinde besprochen werden. Das kann und darf nicht angehen. Ihr und Eure Familie seid angesehene Bürger in der Stadt, nicht gelitten, sondern willkommen. Und nicht nur Ihr. Eure Frau erfüllt eine wichtige Funktion in der Stadt, sie ist die beste Hebamme. Das weiß ich ganz sicher, denn sie hat meiner Nichte bei der Geburt von gesunden Zwillingen geholfen.« Er schüttelte den Kopf. »Und nicht nur meiner Nichte, nein, vielen, vielen Frauen. Ist es nicht so, Meta? Mevrouw op den Graeff hat einen hervorragenden Ruf in der Stadt.« Seine Stimme wurde lauter, je mehr er sich ereiferte.
»Beruhige dich, Hinrich«, sagte Meta Beuken leise. »Das weiß die Familie op den Graeff doch sicher. Aber genauso sicher sind die Quälereien, die zunehmen, statt weniger zu werden. Und es ist auch berechtigt.«
»Was?« Beuken schrie sie fast an. »Was sagst du da, Frau?«
»Nicht berechtigt von den Begründungen her vielleicht, aber doch schon, wenn man sich ansieht, was die Männer beanstandet haben. Versteh mich nicht falsch, Heinrich, ich bin sicherlich nicht auf deren Seite, mitnichten, aber ich kann sie auch verstehen. In den letzten Jahren sind zwanzig oder dreißig Familien in die Stadt gezogen. Der Wohnraum wird knapp, die Preise steigen, und wenn ein harter Winter droht, geht es vielen schlecht. Und manche haben vorgesorgt, haben Platz und auch die Möglichkeit, Schweine aufzuziehen, sie zu schlachten. Mennoniten sind Leute, die schlicht leben, keinen Protz und Prunk brauchen, die ihre Sachen beisammen haltenkönnen. Und das schafft Neider, gerade in schweren Zeiten.«
Hinrich Beuken nickte. »Damit hast du recht, aber es darf nicht sein. Es darf nicht sein, dass man in einer Stadt wie Krefeld, die gerade für Glaubensfreiheit steht, Leute deshalb drangsaliert. Wir haben letzte Woche geschlachtet, unser Sohn schlachtet morgen. Werden wir auch verfolgt und geprügelt werden? Arme und Reiche gab es schon immer, harte Winter auch. Deshalb wurde niemand verprügelt.« Er wischte sich über den Mund, der Zorn hatte tiefe Furchen in die Stirn eingegraben.
»Mijnheer Beuken, Ihr sprecht mir aus tiefster Seele. Auch ich bin erschüttert.«
Gretje sah zu den beiden hitzig diskutierenden Männern, schüttelte den Kopf.
»Isaak, jetzt ist nicht die Zeit, um Reden zu schwingen. Wir müssen den Arm deines Sohnes richten, je schneller desto besser.«
Margaretha sah zu ihrem Bruder, der bleich und in sich zusammengesunken auf dem Stuhl saß. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, die Augen lagen tief in den Höhlen. Er schien große Schmerzen zu haben. Bei den Worten der Mutter zuckte Dirck zusammen. Er schaute zu seinem Arm, der immer noch in einem seltsamen Winkel von seinem Körper abstand, und biss sich in die Lippe.
»Trink noch ein Pint Branntwein, mein Junge«, sagte Gretje besänftigend. »Am besten zwei.«
»Wird es arg schmerzen?«, fragte er mit dünner Stimme.
»Nur für einen Moment. Ich werde vorsichtig sein. Doch je länger wir warten, umso schwieriger wird es werden.«
Auch Isaak war bleich geworden, aber nun trat er an Gretjes Seite.
»Können wir helfen?« Meta Beuken brachte zwei weitere Kerzen und Leinenbinden. Hinrich hatte ein Lattenholz geholt und zeigte es Gretje. Sie nahm es in die Hand, strich darüber,nickte dann. »Das wird gehen. Lehn dich zurück, Dirck. Isaak, du musst ihn festhalten, er darf sich nicht rühren.«
Sie nahm das Messer und trennte das Hemd auf. Zischend entwich der Atem aus Dircks Mund, die Zähne hatte er so fest zusammengebissen, dass die Kiefermuskeln hervorstanden.
»Hier, nimm noch einen Schluck.« Hinrich Beuken schenkte Dirck Branntwein nach. Hastig kippte der junge Mann ihn hinunter, wischte sich dann über den Mund.
»Margret, halte die Hand deines Bruders.«
Margaretha tat wie ihr geheißen. Die Haut des Jungen war schweißfeucht und klamm.
Vorsichtig strich
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