Die Heilerin
Gretje über den Arm. »Du hast Glück, es scheint ein glatter Bruch zu sein. Du wirst den Arm eine Weile schonen müssen, aber vermutlich wird es gut verheilen.« Sie band einen Streifen Leinentuch vorsichtig um sein Handgelenk.
»Könnt Ihr dies bitte halten und daran ziehen, wenn ich es Euch sage?«, fragte Gretje Mijnheer Beuken. »Ihr müsst Euch gerade hinstellen.«
Der Mann nickte, nahm den Streifen Tuch. Dirck stöhnte auf und drehte den Kopf zur Seite. Isaak hatte ihn unter den Achseln gepackt und hielt ihn fest.
»Lehn dich gegen deinen Vater und versuche ganz locker zu bleiben.« Gretje holte tief Luft. »Jetzt!«, sagte sie leise, und Hinrich zog an dem Tuch, während Gretje die Knochen zusammenführte. Es knirschte einmal, Dirck schrie auf, dann aber war der Arm wieder in seiner normalen Position.
»Du hast das Schlimmste überstanden, minn Jong.«
»Ich glaube, er hat das Bewusstsein verloren«, wisperte Margaretha entsetzt.
»Umso besser. Dann spürt er den Schmerz nicht so.« Gretje legte das Brett an den Arm, umwickelte beides fest mit Leinenbinden. »Jetzt können wir ihn vorsichtig hinlegen.«
Gemeinsam legten sie den Jungen auf das Stroh neben Jan Scheuten.
Margaretha wischte sich den Schweiß von der Stirn, ihr war schwindelig und übel.
»Hast du gut zugesehen?«, fragte Gretje sie.
Margaretha nickte.
»Dann trink noch einen Schluck Würzwein, das hast du dir verdient.«
Die beiden Männer holten ihre Tonpfeifen hervor, stopften sie sorgfältig. Immer noch lag Anspannung im Raum, aber auch eine gewisse Erleichterung war zu verspüren.
»Was ist mit Jan? Wird er sterben?«, fragte Margaretha leise.
»Das glaube ich kaum. Er wird ein paar Tage ruhen müssen und ordentliche Kopfschmerzen haben. Sonst fehlt ihm nichts, bis auf ein paar Schürfwunden und blaue Flecke.«
Kapitel 6
Das Erlebte hatte sich tief in Margaretha eingegraben und verfolgte sie bis in ihre Träume. Oft wachte sie schweißgebadet und voller Furcht auf. Gretje ließ die Nacht über ein kleines Windlicht auf dem Kleiderkasten brennen, doch auch das half nicht wirklich. Immerhin konnte Margaretha im schwachen Schein der Kerze Eva sofort erkennen, die meist selig an ihrem Daumen nuckelte und schlief.
Dircks Arm verheilte gut, doch auch er hatte Spuren an der Seele davongetragen. Früher war er ein lustiger, aufgeschlossener Bursche gewesen, jetzt blieb er meist zurückhaltend und in sich gekehrt. Er half bei der Hausarbeit so gut er konnte, lachte aber selten und traf sich nicht mehr mit seinen Freunden.
Auch Jan erholte sich schnell wieder. In den ersten Tagen ging Gretje mehrfach nach ihm schauen, Margaretha begleitete sie oft. Während die Mutter in der Küche einen Aufguss ausJohanniskraut und Melisse herstellte, saß Margaretha neben Jan am Bett. In der ersten Zeit schwiegen sie mehr oder tauschten nur Nettigkeiten aus, doch dann wurde ihr Gespräch wieder lockerer und ungezwungener. Es entwickelte sich eine vorsichtige Freundschaft zwischen den beiden, die Gretje skeptisch beobachtete. Margaretha war nie so offen und gesellig wie ihre Brüder gewesen. In der Schulzeit hatte sie zwei oder drei Freundinnen gehabt, mit denen sie sich noch hin und wieder traf. Auch in der Gemeinde hatte sie einige Kontakte. Und doch war sie bisher anderen gegenüber eher zurückhaltend geblieben. Die Freundschaft zu Jan schien anders, herzlich und innig.
»Du verstehst dich gut mit Jan Scheuten, nicht wahr?«, fragte Gretje ihre Tochter eines Tages, als sie von Scheutens nach Hause gingen.
»Ja, ich mag ihn sehr.« Margaretha senkte verschämt den Kopf.
»Ich hoffe aber, dass es nur eine Freundschaft ist, Meisje. Für alles andere bist du noch viel zu jung.«
»Mutter! Was denkst du von mir?« Entrüstet sah Margaretha ihre Mutter an. »Er ist mir sehr gewogen, und wir gehen freundschaftlich miteinander um.« Ihre Wangen färbten sich in einem tiefen Rot, und sie senkte wieder den Kopf.
Gretje verkniff sich ein Lächeln. »Du weißt, du kannst immer zu mir kommen. Das weißt du doch?«
»Ja.« Margaretha senkte den Kopf, stapfte schneller.
Der Dezember kam. Es blieb kalt, windig und unwirtlich. Anfang Dezember fing es an zu schneien und schien gar nicht mehr aufhören zu wollen. Eine immer dicker werdende Schneeschicht bedeckte die Stadt und das umliegende Land. Die Schneeverwehungen waren zum Teil meterhoch. Nun konnten sie auch keine Eicheln, Bucheckern oder Kastanien mehr sammeln, und das zweite Schwein wurde
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