Die Heilerin
geschlachtet. Margaretha war froh darüber, denn der Gang in den Wald warihr zunehmend schwerer gefallen. Immer wieder hatte sie sich umgeschaut, sich vergewissert, dass niemand ihr folgte.
Für die Armen der Stadt war der heftige Schneefall fatal. Sie hatten wenige Vorräte und mussten mehr schlecht als recht von der Hand in den Mund leben. Auch Reisig sammeln war nicht mehr möglich.
Op den Graeffs hatten einen ausreichenden Vorrat an Holz und Kohlen, und doch sah Gretje zu, dass nicht zu verschwenderisch damit umgegangen wurde. In der Webstube musste es warm sein. Feines Tuch konnte nur gewebt werden, wenn man fingerfertig war.
Die Gemeinde der Mennoniten traf sich seit jeher reihum bei einer der Familien. In den letzten Wochen wurde die Stimmung immer gedrückter. Die Lage der Armen in der Stadt hatte sich durch den strengen Winter verschlechtert. Die Frauen der Gemeinde hatten eine Suppenküche eingerichtet, verteilten Reste und Almosen. Am wichtigsten, so meinte Gretje, war aber eine warme Mahlzeit auch für die Ärmsten, und das wollten sie erbringen. Dies erforderte ein Opfer von den Gemeindemitgliedern, denn auch wenn sie Vorräte angelegt hatten, so reichten diese bei einem sehr harten Winter nur knapp für die Familien und das Gesinde. Trotzdem wollten sie teilen.
Gleichwohl blieb die Atmosphäre in der Stadt angespannt.
Zwei Wochen vor dem Christfest traf man sich im Haus der op den Graeffs. Nach dem Gottesdienst reichte Gretje heiße Grütze mit Speck und schenkte Bier und Würzwein ein. Margaretha half ihr, freute sich besonders, dass Jan endlich genesen war und an der Versammlung teilnahm.
»Die Stimmen gegen uns werden lauter«, meinte einer der Altvorderen.
»Das war bisher immer so in Krisenzeiten. Dieser Winter ist hart«, sagte ein anderer.
»Es sind nur die Armen und Tagelöhner, Mijnheers. Die Armen murren und machen schlechte Stimmung. Die Stadtoberhäupterstehen auf unserer Seite. Ihnen sind wir immer noch willkommen. Durch den zunehmenden Tuchhandel werden wir die Stadt wohlhabend machen, und das ist ihnen bewusst.« Isaak nahm seine Tonpfeife, reichte den Beutel mit dem Tabak umher.
»Es gibt aber sicher zehn oder fünfzehn Familien aus unserer Gemeinde, denen es lange nicht so gut geht wie uns«, wandte Alfred von Beckerath ein.
»Aber die unterstützen wir ja, die bekommen von uns Suppe und Brennstoff, darunter soll die Stadt nicht leiden. Wir sind eine Gemeinde, eine Bruderschaft im Sinne Christi.« Johann Scheuten schüttelte den Kopf.
»Dagegen stehen aber zwanzig bitterarme Familien mit anderer Konfession. Wer gibt ihnen? Natürlich geben wir ihnen auch etwas, wenn es denn übrig ist. Aber ansonsten? Da kommt Neid auf. Von diesen Leuten. Und nicht nur Neid, nein, Hass. Das haben wir schon früher erlebt, woanders.«
»In Krefeld war das aber noch nie so.« Isaak klang beschwichtigend.
»Noch nicht, Bruder Isaak, noch nicht. Aber das kann sich schnell ändern. Eure Familie lebt in der dritten oder vierten Generation hier, meine nicht. Ich kenne es noch anders. Und es hat jedes Mal so angefangen. Uns stehen harte Zeiten bevor.« Alfred von Beckerath fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht und den Bart. »Denkt doch an die Sache nach Martini. Was sie mit Eurem und Scheutens Sohn gemacht haben.«
»Die Männer wurden verurteilt und kamen an den Pranger. Es sind Ausnahmen.« Isaak schüttelte den Kopf, aber ihm war anzusehen, dass ihn die Worte betroffen machten.
»Ausnahmen? Sie haben Scheutens Jungen bewusstlos geschlagen, Eurem den Arm gebrochen, haben von Eurer Frau als Hexe gesprochen. Das würde mir zu denken geben, nein, das gibt mir zu denken.« Er nickte heftig, lehnte sich zurück und zog an seiner Pfeife.
»Noch ein wenig Würzwein?«, fragte Gretje ihn lächelnd. »Margret, schenk doch nach, allen. Ihr müsst wissen, Bruder Alfred, dass ich des Öfteren als Hexe beschimpft werde. Das ist mir nicht neu und macht mir keine Angst. Es sind Menschen, die sich fürchten, die Schweres erlebt haben. Den Tod der Frau, des Kindes. Tod im Kindbett ist nicht ungewöhnlich, aber doch ist es einfacher zu ertragen, wenn man jemanden hat, der die Schuld trägt. Meistens beruhigen sich die Leute nach einer Weile.«
»Wohl wahr, Mevrouw op de Graeff, und gut gesprochen. Doch hier haben wir es mit einer Häufung unglücklicher Umstände zu tun: ein kalter, ein strenger Winter, wenig Vorräte und viele arme Familien in der Stadt, mehr als je zuvor. Im Gegenzug geht es uns
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