Die Heilerin
über die Haube, legte ihre Hand warm und fest auf die Schulter. »Warum habt Ihr nicht geklopft? Wir hätten Euch doch hereingelassen.«
Margaretha hob den Kopf, wischte sich die Tränen aus den Augen und sah die Frau an. Ein sanftes Gesicht, durchzogen von Falten wie Radspeichen, die wenigen Haare, die sich unter der Haube hervorschlängelten, schon grau.
»Du bist eine op den Graeff, nicht wahr?«, fragte die Frau. Sie ging zum Herd, füllte einen Becher mit Würzwein und reichte ihn Margaretha. »Und das ist deine kleine Schwester? Welch ein Engel! Nicht weinen, Liefje. Schau hier!« Sie öffnete eine kleine Dose, die auf dem Herdsims stand, und reichte Eva etwas. »Eine kandierte Pflaume, du kannst sie lutschen, probier mal.«
»Wer seid Ihr?«, fragte Margaretha leise. »Und wer wird helfen?«
»Ich bin Meta Beuken. Wir wohnen hier schon immer, schon die Großmutter meiner Mutter hat in diesem Haus gewohnt. Mein Mann hat die Meierei draußen beim Münkershof.«
Jetzt erinnerte sich Margaretha und erkannte die Frau. »Aber Ihr seid Protestanten«, wisperte sie.
»Macht uns das zu schlechten Menschen?« Meta lächelte. »Keine Angst, nicht alle von uns sind so wie die betrunkenen Schwachköpfe dort draußen. Herbert, mein Mann, holt Hilfe. Er ist schon los, als sie auf die Gasse kamen, hat das Unheil wohl erahnt. Hätte ich gewusst, dass ihr vor der Tür hockt, hätte ich euch alle sofort hereingeholt. Ich stand am Fenster, im Dunkeln, und habe es beobachtet.«
»Meine Mutter …« Am liebsten wäre Margaretha aufgesprungen und nach draußen gerannt, aber die Furcht lähmte sie.
»Ich gehe nachschauen. Trink den Wein, er wird dich stärken, Kind.« Die Frau lächelte ihr beruhigend zu, verließ die Küche.
Obwohl der Kamin brannte und es warm war, fror Margaretha auf einmal. Sie fühlte sich hilflos und alleine, ganz und gar verloren. Eva saß auf ihrem Schoß und lutschte verzückt an der ungewohnten Süßigkeit. Für einen Moment hielt sie inne, schloss die Augen und drückte, ihr Gesicht lief rot an, dann seufzte sie erleichtert auf, nahm wieder die Zuckerfrucht in den Mund.
Ein scharfer Gestank breitete sich in der Küche aus, und Margaretha senkte beschämt den Kopf. Nun hatte Eva auch noch in die Hose gemacht. Wie hatte der Mann dort draußen Eva genannt? »Missgeburt«. Nein, dachte Margaretha und wiegte die Schwester in den Armen, nein, eine Missgeburt bist du wahrhaftig nicht. Aber anderen Menschen fiel es schwer, das zu begreifen. Auch war ihre Mutter keine Hexe. Wieder befiel Margaretha die Angst, steigerte sich zur grauenhaften Furcht. Was passierte dort draußen? Hier hinten konnte sienur verworrene Geräusche hören. Stimmen riefen, und Hufe klapperten auf dem gefrorenen Boden. Reiter waren gekommen, aber war das gut oder waren das weitere aufgebrachte Männer, die die ungeliebten Mitbürger einfach über den Haufen reiten würden? Erschreckende Bilder stiegen in ihrem Kopf hoch, Bilder von gebrochenen Knochen und strömendem Blut. Die Haustür wurde geöffnet, Leute kamen in das Haus.
O Gott, dachte Margaretha, jetzt sind wir an der Reihe, jetzt werden sie sich uns vornehmen. Wo verstecke ich Eva? Sie sprang auf, verschüttete den Becher mit dem Wein, der sich wie eine Pfütze Blut auf dem Boden ergoss, und schaute sich hektisch um. Da war eine Tür, die wahrscheinlich zu der Speisekammer führte. Margaretha öffnete sie, betrat den Raum und zog die Tür hinter sich zu. In dem Raum war es nach der dampfenden Wärme der Küche kühl und stockfinster. Aromatisch dufteten Gewürze und Speisen. Äpfel lagerten hier und Birnen, das konnte Margaretha riechen, Zimt, Kardamom und Pfeffer. Eva zog schnuppernd die Luft ein, nieste dann laut.
»Nicht, Evchen, still, still …«
»Wo ist sie denn? Gerade war sie noch hier.« Margaretha hörte die Stimme von Meta Beuken wieder in der Küche. »Hier auf der Bank saß sie. Macht Euch keine Sorge, Mevrouw op den Graeff, Euren Töchtern geht es gut.«
»Margret?« Es war Gretje, die sie rief. Vorsichtig öffnete Margaretha die Tür der Kammer, spähte in die Küche. Dort stand ihre Mutter, sie sah abgehetzt und müde aus.
»Moedertje!« Margaretha stürmte in die Küche. »Gottegot, was ist passiert? Was ist mit Jan und Dirck und dem anderen?«
Nun liefen die Tränen wieder, aber diesmal vor Erleichterung. Gretje schloss die beiden in die Arme, sie zitterte. »Goddank!«
Für einen Moment blieben sie so stehen. Von draußen warenimmer noch laute
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