Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
wurde.«
»Woher wollt ihr das wissen?«
»Seid vorsichtig, werte Äbtissin. Ihr überschreitet eure Kompetenzen. Ihr solltet darum beten, dass sich der Bischof nicht in den Fall einmischt.«
Greta von Hattelen knirschte mit den Zähnen. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Am liebsten wäre sie dem anmaßenden Kerl an die Kehle gesprungen. Was musste sich das Mindener Domkapitel auch immer wieder in ihre Angelegenheiten mischen! Wäre sie doch Äbtissin in Herford geworden! Dort hätten ihr nur der Papst oder der Kaiser etwas sagen dürfen. Aber auf den Posten kamen ja nur die Hochadeligen.
»Wer soll nun Agnes’ Arbeit machen?«, fragte sie schnippisch.
»Es sind doch bestimmt genug Schwestern da.«
»Jede muss sich aber verdienen, was sie isst. Auch diese da. Es gibt keine Sondervergünstigungen.«
»Deswegen müsst ihr euch keine schlaflosen Nächte machen. Schwester Agnes verdient ihr tägliches Brot durch den Auftrag. Und – das sollte euch doch klar sein – falls sie Erfolg hat, was ich nicht bezweifele, wird dieser bestimmt als Empfehlung für euer Kloster angesehen.«
Die Lippen der Äbtissin waren schmal wie ein feiner Federstrich. Grimmig starrte sie Johann von Rottorf an, doch der verzog keine Miene. Sie wusste ganz genau, dass sie bei diesem Machtkampf nur verlieren konnte. Aber sie wollte trotzdem nicht klein beigeben.
»Jetzt muss ich alles umstellen. Alle Arbeiten neu verteilen. Mit allen Schwestern reden. Was für ein Aufstand wegen einer Nonne. Ich bin mir nicht sicher, ob ihr überhaupt das Recht dazu habt.«
»Dann tragt das bitte dem Bischof Otto vor. Jedoch ... bis dahin gilt, was ich gesagt habe.«
Die Äbtissin schwieg. Nervös zog sie den zur Seite gestoßenen Stuhl wieder heran und setzte sich. Sie nahm die Listen und ordnete sie umständlich. Anstatt ihre Niederlage offen anzuerkennen, bevorzugte sie die Opferrolle. Der Mindener sollte ruhig sehen, welche Mühen seine Anordnung ihr machte. Sie versuchte krampfhaft, sich auf die Papiere zu konzentrieren. Aber ihre Hände zitterten deutlich vor Zorn und Enttäuschung.
Der Domdekan nickte befriedigt. »Wehe, ich höre Klagen von Schwester Agnes.«
Nach einer knappen Verabschiedung in Richtung der Äbtissin und einer umso herzlicheren bei der jungen Nonne verließ er schnellen Schrittes den Raum.
Höflich blieb Agnes stehen und wartete geduldig darauf, dass sie entlassen würde. Fast hätte sie gelächelt, aber zum Glück konnte sie sich beherrschen. Endlich hatte jemand der grimmigen Vorsteherin die Leviten gelesen. Hoffentlich hatte dies eine nachhaltige Wirkung – am besten für immer. Aber das sollte bestimmt nur ein frommer Wunsch bleiben.
Endlich schaute die Äbtissin wieder hoch. Mit Abscheu in der Stimme presste sie hervor: »Hinweg mit dir! Wir werden schon sehen, wer hier was zu sagen hat.«
Agnes machte einen höflichen Knicks und verließ mit einem unguten Gefühl den Raum.
Erste Befragung
Agnes holte einen Teller voll Suppe aus der Küche und ging damit zu Maria. Vielleicht war die arme Frau nun aufgewacht und konnte eine kleine Stärkung vertragen. Eine kräftige, warme Mahlzeit tat oft Wunder. Das war auch dringend nötig, nach alldem, was sie erlebt hatte: der brutale Überfall, die Verletzungen, der Tod des Ehemanns. Und wenn sich die Übeltäter auch noch an ihr vergangen hatten? Es war nichts Ungewöhnliches, wenn sich misshandelte Frauen nach solchen Erlebnissen vor Seelenschmerz und Scham das Leben nahmen.
Agnes klopfte vorsichtig an die Kammertür. Erst nach dem dritten Versuch antwortete ein leises Murmeln. Sie hatte nichts verstanden, trotzdem öffnete sie die Tür und trat ein.
Maria saß aufrecht auf dem Bett, das in der Zimmerecke stand, und drückte sich ängstlich an die Wand. Ihre großen, dunklen Augen irrten wachsam durch den Raum. Die langen schwarzen Haare klebten ihr verschwitzt am Kopf. Die junge Witwe sah aus, als litte sie unter hohem Fieber. Die Decke hatte sie bis zum Kinn hochgezogen und hielt sich damit krampfhaft bedeckt.
»Erinnert ihr euch an mich?«, fragte die Nonne vorsichtig. »Ich habe euch heute Morgen hierher ins Kloster gebracht.«
Maria nickte langsam.
»Möchtet ihr etwas essen? Ich habe etwas Suppe für euch. Wollt ihr einmal probieren?«
Als Antwort kam lediglich ein kurzes Kopfschütteln.
»Ich stelle den Teller hier auf den Tisch. Wenn euch danach ist, könnt ihr sie ja essen. Sie ist wirklich gut. Unsere Schwestern in der Küche haben sich sehr viel Mühe
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