Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
’ne ganz dolle Vision. Und ... keine Woche später brannten zwei Häuser hier inner Stadt. Oder letzten Winter. Kaum hatte sie Schlimmes gesehn, kam ein Schneesturm.«
»Hat sie vielleicht auch Wutausbrüche, oder ist sie manchmal reizbar?«, fragte Agnes.
Die Frau zuckte mit den Schultern. »Ab und zu hat se den Kunibert angeschrien. Aber das mag wohl eher mit ihrer Gabe zu tun hab’n.«
Die junge Nonne blickte Ludolf hilflos an. Und was nun? Was für Fragen könnten sie noch stellen? Der junge Mann strich sich grübelnd durch die Haare.
»Wollt ihr noch was wissen? Sonst mach ich mich wieder an meine Arbeit.«
»Eins vielleicht noch«, bat Ludolf. »Waren vorgestern auch Männer hier vor dem Haus?«
»Darauf hab ich nich geachtet.«
»Ist vorgestern überhaupt etwas Auffälliges passiert?«
Die Frau bekam einen leeren Blick, schüttelte mehrfach den Kopf. Auch das ausgiebige Kratzen ihres Bauches half ihr nicht wirklich beim Nachdenken.
»Ich war wie meistens inner Wohnung. Der Kunibert ging morgens zum Arbeiten. Maria war am Vormittag inner Kirche. Vorher kommt se immer noch bei mir vorbei und nachher is se manchmal müde, wenn se wieder Visionen gehabt hat.«
»Habt ihr noch etwas beobachtet?«
»Am Nachmittag war der Herr Engern noch da. Ne Zeit danach, kurz vorm Gewitter, der Pater aus St. Nikolai. Da war’s schon fast dunkel. Und am Abend hörte ich kurz Geschrei und Getrampel. Aber dann war schon wieder Stille.«
Sofort wurden die beiden wieder hellhörig.
Agnes hakte sofort voller neu erwachtem Eifer nach: »Geschrei und Getrampel? Habt ihr gesehen, ob jemand herunterkam?«
»Nö. Gewundert hat’s mich schon. Aber vorsichtig bin ich trotzdem. Nach ’en Moment hab ich geschaut, aber nix gesehen.«
»Habt ihr denn bemerkt, wann Kunibert nach Hause kam?«
»Klar doch. Am Nachmittag, nach ’er Arbeit. So wie immer.«
»Dann war er also den ganzen Abend zu Hause?«
»Das nich. Er is ja gleich wieder gegangen. Wann er denn zurückkam, hab ich nich gesehen. Wahrscheinlich beim Gewitter; denn bei dem Donner und dem Prasseln des Regens hört man ja sowieso nix.«
»Könnt ihr uns genauer sagen, wann Kunibert wieder ging?«
»Na, das war genau zwischen dem Besuch des Engern und dem Pater.«
Plötzlich unterbrach eine weitere Stimme das Gespräch. Ludolf und Agnes drehten sich erschrocken um. Aus dem oberen Stockwerk kam eine Frau mittleren Alters herab. »Wir wohnen genau unter Nachtigals. Wir haben auch das Geschrei gehört, dann Poltern. Jetzt weiß ich, dass das der Kunibert gewesen sein muss. Hätten wir doch lieber am Abend noch mal nachgeschaut.«
»Habt ihr denn wenigstens jemanden gesehen?«, fragte die junge Nonne.
»Nein. Wir haben halt gedacht, die hätten wieder mal Streit miteinander. Das passiert schon ab und zu. Dann kreischt Maria wie ’ne Irre und wirft Sachen zu Boden. Irgendwann ist aber wieder Ruhe.«
»Hörte sich das vorgestern wie ein üblicher Streit an?«
Inzwischen war die Frau am unteren Ende der Treppe angekommen. »Schon, deshalb haben wir uns ja auch nichts dabei gedacht. Jetzt tut’s uns zwar leid, aber da können wir auch nichts mehr dran ändern. Ist eben Schicksal, Gottes Wille. Da sind wir machtlos.«
»Das waren bestimmt andere Holzfäller«, dröhnte es jetzt vom Eingang her.
Alles wandte sich zur Tür. Ein wohlbeleibter Mann stand dort und hatte seine Fäuste in die Seiten gestemmt.
»Das ist mein Mann«, erklärte die Frau, die die Treppe herabgekommen war.
Ludolf fragte ungläubig: »Wieso sollen das andere Holzfäller gewesen sein?«
»Is doch ganz klar. Hier inner Gegend gibt’s genug Holzdiebstähle in letzter Zeit. Ganz schön dreiste Burschen. Und eiskalt dabei. Einige Pächter haben schon einiges an gutem Holz verloren.«
»Warum sollte Kunibert dann umgebracht worden sein?«
»Vielleicht weil er reden wollte und auf die Belohnung scharf war.«
»Glaubt ihr etwa, Kunibert war einer der Holzdiebe?«
»Für ’nen einfachen Holzfäller hatte er jedenfalls immer genug Geld. Fragt doch am besten mal seine Kumpanen. Die wissen bestimmt mehr.«
Wieder ein Punkt, den sich Agnes und Ludolf für ihre Nachforschungen merken mussten. Da Maria überlebt hatte und Kunibert getötet worden war, war der Gedanke des Nachbarn gar nicht so abwegig.
»Ach, ja.« Der junge Mann vom Domhof schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Eines haben wir bisher noch gar nicht in Erfahrung bringen können. Wie wurde die Tat eigentlich entdeckt?«
Die
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