Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Berittene heran. Sie trieben ihre Pferde mitten in die Menschenmenge und drängten die Leute brutal auseinander. Auf dem vordersten Pferd saß Ulrich von Engern mit gezücktem Schwert und schrie wie ein Berserker.
»Fort mit euch! Ihr Gauner! Ihr Verbrecher! Schämt euch! Dies ist ein Trauerhaus! Ihr beleidigt meine Maria!«
Der Mönch verfluchte Ulrich: »Die Frau hat der Satan nach Rinteln gebracht! Sie bringt Unheil! Du bist ihr Buhler geworden! Du und diese Hure, ihr werdet noch die ganze Stadt zugrunde richten!«
Von Engern trieb sein Pferd auf den Klosterbruder zu und holte mit dem Schwert aus. Doch der Angegriffene konnte dem Hieb geschickt ausweichen. Noch ehe Ulrich sein Tier gewendet hatte und einen neuen Anlauf nehmen konnte, war der Mönch schon über eine Mauer geklettert und im Garten eines Nachbarn verschwunden. In den Grundstücken hinter den Häusern konnte er sich so lange verstecken, bis die Luft wieder rein war.
Inzwischen hatte sich die Menge zerstreut. Nur Ludolf und Agnes standen noch im Eingang des Hauses. Sie waren von der Brutalität, mit der die Menschenmenge hier vertrieben worden war, schockiert. Ulrich von Engern war mit der Rücksichtslosigkeit eines Soldaten im Krieg vorgegangen. Er hatte sich nicht darum geschert, ob auch Frauen und Kinder darunter gewesen waren.
Jetzt lenkte er sein Pferd in Richtung der beiden. »Ihr könnt nach Hause gehen. Die Juden, die Kunibert umgebracht haben und Maria verfolgen, werden wir uns jetzt holen.«
Agnes war aufgewühlt und trat ihm nun entrüstet entgegen. »Dass die Juden die Mörder sind, ist doch nur eine Vermutung!«
Ulrich war von der angriffslustigen Nonne unbeeindruckt. »Zwar wurden die meisten schon vor Jahren ausgerottet, aber noch immer kommen einige auf der Durchreise hierher. Auch andere Nachbarn haben in den letzten Tagen welche in der Stadt gesehen. Während ihr nur herumtrödelt, habe ich das schon genauestens überprüft. Diesen Abschaum holen wir uns jetzt. Die bekommen ihre gerechte Strafe.«
»Warum?«
Verständnislos blickte er auf Agnes herunter. »Das ist doch klar: Maria ist eine Heilige, und die wollen sie töten.«
»Das ist doch bloß leeres Gerede. Dafür gibt es keinerlei Beweise! Ist den Juden denn nicht schon genug angetan worden?«
Der Herr von Engern beugte sich entrüstet vor und zeigte mit dem Finger auf Agnes. »Das sagt ihr als Nonne? Gerade ihr solltet es besser wissen. Die Juden sind Wucherer und Gauner und nehmen den Leuten die Arbeit weg.«
»Welche Arbeit denn? Sie dürfen in keine Gilde, sie dürfen kein Land besitzen.«
Ulrich schüttelte nur verärgert den Kopf. »Bleibt lieber in eurem Kloster. Von solchen Dingen versteht ihr nichts. Ich halte mich lieber an die Wahrheiten, die in unserer heiligen Kirche gelehrt werden.«
Ludolfs schallendes Gelächter ließ Ulrich zurückweichen. »Seid ihr da so sicher?«
»Natürlich!«, antwortete er entrüstet.
»Was findet ihr im Buch Levitikus?
Der ansässige Fremdling sollte euch wie einer eurer Einheimischen werden; und du sollst ihn lieben wie dich selbst
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Ulrich von Engern starrte erstaunt auf Ludolf hinunter. Doch noch ehe er antworten konnte, setzte Agnes nach: »Und der Apostel Paulus sagt:
Bei Gott gibt es keine Parteilichkeit
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»Mit welchem Recht wollt ihr mich belehren? Was ihr da redet, hat rein gar nichts mit dieser Sache zu tun.«
»Vergesst niemals: Jesus war auch ein Jude.«
Ulrich tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. »Ihr redet irre. Jesus war Christ. Er war kein Jude. Greta hatte schon recht, als sie sagte, ihr wärt unbelehrbar.«
Damit rief er die anderen Berittenen zu sich, und zusammen jagten sie in Richtung Seetor davon.
Ludolf und Agnes atmeten tief durch. Das war ja schon genug Aufregung für den Morgen. Sie waren fassungslos, mit was für einem Ignoranten sie zusammenarbeiten sollten.
»Dem müssen wir Bericht geben?«, stöhnte die junge Frau.
»Der hat von der Bibel doch so viel Ahnung wie ein Hahn vom Eierlegen.«
Agnes konnte sich nicht mehr zurückhalten. Die angestaute Spannung entlud sich in einem Lachen. »Oder so viel wie eine tote Taube vom Fliegen.«
»Genau.« Ludolf musste mitlachen. »Oder wie eine Kuh vom Schlittenfahren.«
Plötzlich lagen sich beide lachend in den Armen. Und da war es wieder: die gleiche knisternde Spannung, die gleichen aufregenden Gefühle. Ihre Gesichter näherten sich langsam, fast schon berührten sich ihre Lippen. Doch dann zog Agnes sich unvermittelt
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