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Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Domeier
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wir Beobachter sind, die verstehen und nicht nur staunen, schadet das weder uns noch Gott. Möglicherweise steigert das sogar noch unsere Ehrfurcht, weil wir endlich die große Weisheit hinter der Schöpfung verstehen.«
    Agnes blickte ihn starr an. Ihre Gedanken waren ein heilloses Durcheinander. Leider musste sie zugeben, dass er unter Umständen recht haben könnte. Aber nur vielleicht. Warum mussten sie sich bloß immer wieder streiten? Kaum verstanden sie sich gut, musste er sie provozieren. »So denkt aber nicht die Kirche«, erwiderte sie, um das Thema abzuschließen.
    »Aber ich.«
    »Hast du denn eine Erklärung für das weinende Christusbild parat?« Sie lächelte überlegen, denn jetzt würde sich herausstellen, dass seine Ansichten über Wunder nur heiße Luft gewesen waren.
    »Ein undichtes Dach. Regen tropft auf das Kruzifix herunter und plötzlich sieht es so aus, als würde die Statue weinen.«
    Agnes lachte spöttisch. »Das glaube ich nicht! Etwas Besseres hast du nicht auf Lager? Damit kannst du niemanden überzeugen. Wenn der Regen auf die Statue fällt, zerspringt der Tropfen in viele kleine Tröpfchen, die überall durch die Gegend fliegen. Das sieht bestimmt keinem Weinen ähnlich. Außerdem gibt es das gleiche Wunder, wenn Maria in der Kirche ist.«
    Ludolf ärgerte sich. Mit Agnes zu diskutieren war ein Ding der Unmöglichkeit. Sie wollte immer sofort eine Antwort haben, immer sofort die Lösung präsentiert bekommen. Sie verstand einfach nicht, dass man neue Erkenntnisse nur in mehreren aufeinanderfolgenden Stufen erlangen konnte. Zuerst mussten die bisherigen Überlegungen in Zweifel gezogen werden, dann konnten andere Möglichkeiten gesucht und geprüft werden, und erst am Schluss stand das neue Verständnis. Und im Moment war er erst beim zweiten Schritt, beim Erkunden.
    Also griff Ludolf zu einer zweiten Argumentation. Er wollte sich nicht so schnell geschlagen geben. Ein Remis sollte allerdings möglich sein. »Es gibt aber einen biblischen Grund, warum dies kein Wunder sein darf.«
    »Welcher soll das denn sein?« Agnes schüttelte missmutig den Kopf.
    »Nach der Bibel darf es überhaupt keine Kruzifixe geben.«
    Sie tippte sich an die Stirn. »Jetzt drehst du ja ganz durch!«
    »Eines der Zehn Gebote besagt:
Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen noch eine Gestalt wie irgendetwas, was oben in den Himmeln oder was unten auf der Erde oder was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst dich nicht vor ihnen niederbeugen
. 25 «
    »Da sieht man wieder, dass du das völlig falsch verstanden hast. Das bedeutet nämlich etwas ganz anderes.«
    »Und was?«
    »Ein Kruzifix ist ein Abbild Gottes. Das ist erlaubt. Man darf sich nur kein Abbild von Tieren und Pflanzen machen.«
    »An einer anderen Stelle in der Bibel wird ganz deutlich über die Nutzlosigkeit der Bilder gesprochen:
Sie sind wie eine Vogelscheuche und können nicht reden. Sie werden ganz bestimmt getragen, denn sie können keine Schritte machen
. 26 «
    Wie konnte ein einzelner Mensch nur so beschränkt sein! Agnes hätte sich die Haare gerauft, wäre da nicht diese dämliche Haube im Wege gewesen. »Aber Thomas von Aquin führte dazu aus:
Dem Bild Christi sollte dieselbe Verehrung erzeigt werden wie Christus selbst. Das Kreuz genießt dieselbe Verehrung wie Christus. Wir werden das Kreuz genauso ansprechen und anflehen wie den Gekreuzigten selbst
. Und daran halte ich mich.«
    »Ist ja erstaunlich!«, höhnte Ludolf. »Aber dein ach so geliebter Augustinus war genau gegenteiliger Meinung. Er sagte über Gläubige, die Bildnisse benutzen:
Sie behaupteten, nur die unsichtbare Person anzubeten, die durch den Götzen dargestellt werde, doch beten sie den Teufel an
. 27 Dann bist du also eine Teufelsanbeterin.«
    Agnes war schockiert und stand mit offenem Mund vor Ludolf. Sie wusste nichts mehr zu sagen. Wie konnte er sich nur anmaßen, solch eine Unverschämtheit zu behaupten! Und das auch noch ihr gegenüber – einer strenggläubigen Nonne! Eine bodenlose Frechheit! Sie kämpfte mit ihrer Beherrschung, um nicht auf der Stelle vor Wut zu platzen. Aber eigentlich ... hatte der unmögliche Kerl sogar recht. Sie kannte die Bibelstellen und die Aussage des Augustinus ganz genau. Was war jedoch falsch an der Tradition der Kirche?
    Aber Ludolf war noch so richtig in Fahrt. »Und weil Gott die Anbetung von Bildnissen und Götzen verbietet, wird er niemals solche Schaustücke verwenden, um Wunder zu tun.« Zu spät fiel ihm auf, wie

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