Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
überein, sich mit diesem Punkt erst nach der Aufklärung des Mordes zu befassen. Eine Anklage hätte zum jetzigen Zeitpunkt nur unnötige Schwierigkeiten bereitet. Die junge Nonne versprach, sich zurückzuhalten, auch wenn es ihr unendlich schwerfallen sollte.
Dann kam das Gespräch auf das Wunder des weinenden Christusbildes.
Der Domdekan wurde plötzlich sehr ernst: »Die Kirche ist beunruhigt über diese Wunder. Die Verantwortlichen hier rücken nur sehr zurückhaltend mit Hinweisen heraus. Der Priester von St. Nikolai kann oder will nicht sagen, woher er die Statuen hat. Inzwischen haben sich der Fürstbischof Simon von Paderborn 19 und der Mindener Bischof Otto beraten. Da ich ja hier aus der Umgebung stamme, wurde ich gebeten, diese Vorkommnisse zu untersuchen.«
»Das ist aber kein gutes Omen«, bemerkte Ludolfs Vater. »Die Visionen und Wunder scheinen schon weiter bekannt, als es einigen lieb ist.«
Von Rottorf stimmte zu: »Wir müssen genau aufpassen, wie sich diese ... Affäre entwickelt. Sobald hier eine Verehrung eingeführt wird, die die heilige katholische Lehre zurückdrängt, wird es gefährlich.«
»Inwiefern?«
»Häresie 20 . Und was das bedeutet, muss ich nicht erklären.«
Die anderen nickten zustimmend. Häresie wurde zumeist mit Gefangenschaft und Entzug des Eigentums bestraft. Und jeder, der seine Ansichten nicht widerrief, wurde schwer bestraft. Falls Herrscher die Häretiker nicht verfolgten und bestraften, drohte die Exkommunikation. Papst Gregor IX. 21 hatte erstmals eigene päpstliche Sonderbeauftragte als Inquisitoren ausgesandt, die im Reich nach Ketzern fahndeten. Der erste dieser Sonderbeauftragten war Konrad von Marburg 22 , der zahlreiche Hinrichtungen gegen Abtrünnige ausgesprochen hatte. Im Moment hörte man des Öfteren von Martin von Prag, der die Waldenser 23 gnadenlos verfolgte.
»Wollt ihr damit sagen, Maria solle lieber schweigen?«, fragte Ludolf.
»Genau. Aber es geht ja nicht nur um sie, sondern um die ganze Stadt. Wie leicht könnte die Geltungssucht einiger weniger ein Strick für alle Einwohner sein. Selbst für die, die Maria für eine Ketzerin halten.«
»Heute Morgen haben wir erlebt, wie sich Nachbarn wegen unterschiedlicher Ansichten dazu plötzlich in die Wolle kriegten.«
Agnes gefiel es ganz und gar nicht, dass hier so einfach über Marias Kopf hinweg geurteilt wurde. Wer fragte danach, wie es der armen jungen Frau ging? Schließlich hatte sie gerade erst ihren Mann verloren.
Ärgerlich fragte sie deshalb: »Habt ihr denn Zweifel an den Wundern?«
Der Domdekan lächelte. »Der Bischof und die Kirche werden jetzt noch keine Stellung dazu nehmen. Die Wunder oder Erscheinungen werden erst einmal geduldet und genau beobachtet. Wenn die Menschen diese Mysterien zum Anlass nehmen, zu Gott zu kommen, ist nichts dagegen einzuwenden.«
Agnes winkte ungeduldig ab. »Ja, ja. Das ist die offizielle Meinung. Aber was ist mit euch? Zweifelt ihr an den Wundern?«
Johann von Rottorf blickte die Nonne nur schweigend an.
»Schon verstanden«, murmelte sie mürrisch vor sich hin.
Doch der Domdekan versuchte noch einmal seine Position zu erklären: »Einigen Leuten missfällt diese Aufmerksamkeit. Der Dom in Minden ist das hiesige Zentrum der Anbetung, nicht die kleine Kirche in Rinteln. Wenn der Dom Einfluss oder Macht einbüßt, kann das einige mächtige Familien beunruhigen. Ich denke da im Besonderen an die Grafen von Hoya. Die wissen vielleicht, wen man beauftragen kann, um eine die Herrschaft störende ... Entwicklung zu beenden.«
Johannes vom Domhof hatte bei den letzten Worten aufmerksam zugehört: »Glaubt ihr etwa an einen Auftragsmord?«
Und Agnes ergänzte: »Dann wäre der Tod Kuniberts doch nur ein Versehen gewesen und Maria das eigentliche Ziel.«
»Auftragsmord? Im Moment glaube ich noch nicht daran. Aber wer weiß schon, wie die Situation in ein oder zwei Monaten aussieht?«
Ludolf konnte diplomatisches Vorgehen wie dieses schlecht ertragen, aber leider musste er es wohl dulden – auch bei diesem Auftrag. Und sie mussten aufpassen, dass sie einer einflussreichen und mächtigen Person nicht auf die Füße traten. »Herr von Rottorf, und wenn jemand diesen Schritt aus reiner Vorsicht schon längst gemacht hat? Also noch bevor ein Problem entsteht, bevor es großen Ärger gibt.«
»Dann könntet ihr eure Nachforschungen hier und jetzt einstellen. Dann fändet ihr keinen Anhaltspunkt mehr, um die Auftraggeber zu überführen.«
Das war
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