Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Monat sein, höchstens im achten. Plötzlich schlug sich Agnes vor Schreck mit der flachen Hand gegen die Stirn. Ursula war etwa um die Zeit schwanger geworden, als Agnes hier ankam! Bis man sicher ist, dass ein Kind unterwegs ist, dauert es mindestens einen Monat, wenn nicht sogar zwei, dann kommt die Aufnahme ins Kloster. Das passte zeitlich überhaupt nicht zusammen. Ursula hatte ihr Kind empfangen, als sie schon längst Nonne war.
»Die Äbtissin lügt!«, erklang es wütend im Brunnenraum.
Vorbereitungen
Glaubst du an Wunder, Vater?« Ludolf hatte sich wieder an den Tisch gesetzt. Der Domdekan war inzwischen fort.
Johannes zog die Augenbrauen zusammen und starrte auf einen unsichtbaren Punkt irgendwo an der Wand. Schließlich antwortete er: »Kommt drauf an.«
»Worauf?«
Wieder grübelte der Vater einen Moment. »Wie wunderbar oder wie übernatürlich etwas ist.«
Ludolf schaute ihn verwundert an. »Könntest du mir das bitte genauer erklären?«
»Du hast doch schon vom Blutwunder hier in St. Nikolai gehört?«
Der Sohn bejahte. In Minden hatte er davon gehört. Bei der diesjährigen Karfreitagsprozession war zum ersten Mal in einer Monstranz eine Glasphiole mit etwas von dem Blut Christi durch die Stadt getragen worden. Und zwar das Blut, das austrat, als die römischen Soldaten Jesus in die Seite stachen, um zu sehen, ob er schon tot war. Das Glasgefäß wurde bei der Prozession hin und her geschwenkt. Und plötzlich war der Klumpen geronnenen Blutes wieder flüssig geworden. Nach dem Umzug, als die Reliquie auf den Altar gestellt worden war, erstarrte die Flüssigkeit wieder.
»Auf den ersten Blick erscheint dieses Wunder jedenfalls erklärbar. Ein gefärbter Wachsklumpen, der erwärmt wird, verflüssigt sich wieder. Mir ist auch nur davon erzählt worden, aber ich habe mich ein wenig umgehört. Nur ... niemand hat gesehen, dass das Glasgefäß erwärmt wurde. Es wurde lediglich beim Tragen kräftig geschüttelt.«
»Weißt du noch, ob es zu Ostern warm war?«
Johannes schüttelte den Kopf. »Könnte ich nicht mehr sagen. Aber falls die Sonne scheint, kann ein Wachsklumpen allein durch die warmen Strahlen flüssig werden.«
Ludolf nickte. »So ähnlich habe ich mir das auch gedacht. Übrigens: In Italien gibt es heutzutage öfter Berichte über solche Blutwunder.«
Der Vater lachte. »Genauso wie man von den Splittern vom Kreuz Jesu, die allerorts ausgestellt sind, mehrere Kreuze bauen kann, wird es bald mehr Blut Christi in irgendwelchen Phiolen geben, als ein Mensch in seinem Körper hat. Frag den Bassenberg doch mal, ob seine Reliquie auch aus Italien kommt.«
»Mach’ ich.«
Die beiden Männer saßen zusammen am Tisch und lächelten sich an. Ludolf mochte diese ruhigen Augenblicke, wenn er sich mit seinem Vater ungestört unterhalten konnte. Johannes war kein Freund großer Worte, und mit Liebesbezeugungen hielt er sich immer zurück – besonders in der Öffentlichkeit. Aber man sah in seinen Augen ganz genau, wie er fühlte. Er liebte seine beiden Söhne, auch wenn er es nie direkt sagte. Falls es niemand sah – auch seine Frau nicht –, weinte er sogar mit ihnen.
»Aber bei unserer Suche spielt Marias Verbindung zum weinenden Kruzifix eine Rolle«, unterbrach Ludolf die Stille. »Ich vermute, dass Wasser von oben darauf tropft oder hinter der Statue aus der Wand tritt. Und wenn man nicht genau hinschaut, denkt man, der Christus weine.«
»Wir haben es hier wohl eher mit gläubigem Wunschdenken zu tun als mit tatsächlichem Geschehen«, stimmte Johannes zu. »Hast du dir das Kruzifix denn schon mal genauer angesehen?«
»Agnes war mit in der Wohnung. Ich traute mich nicht, da sie bei solchen Dingen ein wenig ... äh ... empfindlich reagiert.«
Der Vater lachte. »Das glaube ich. Aber wollen wir uns das Kreuz nicht schnell einmal genauer ansehen?«
»Jetzt?«, fragte Ludolf erstaunt.
»Klar. Wir haben es doch nicht weit. Und falls Agnes eher kommt, soll eine der Mägde ihr sagen, sie solle einen Augenblick warten.«
»Einverstanden.«
So machten sich Vater und Sohn auf zu Marias Wohnung. Die beiden wurden von der älteren Nachbarin in der unteren Wohnung erkannt und hineingelassen. Sie untersuchten die kleine Statue eingehend, betrachteten sie von allen Seiten genau, fanden aber nichts. Auch an Decke oder Wand war nichts Ungewöhnliches zu sehen, weder ein Loch noch eine feuchte Stelle.
»Das Wunder scheint wohl doch mit der Statue zu tun haben«, folgerte Ludolf.
Sein
Weitere Kostenlose Bücher