Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Möllenbecker in der Menge. »Ich habe den Schuft erwischt. Er wollte sich in Richtung Herford aus dem Staub machen.«
Der junge Mann zerrte an seiner Fessel und schrie: »Ich bin unschuldig! Ich war noch nie in dieser Stadt! Das muss ein Missverständnis sein!«
Als Antwort erhielt er von einem der Reiter einen brutalen Tritt an den Kopf. Einige der Zuschauer jubelten laut auf. Der Getroffene sackte mit einem Stöhnen auf die Knie. Seine Nase begann zu bluten, während er von der aufgeheizten Menge angespuckt und verspottet wurde.
»So ergeht es allen, die mich oder meine Familie angreifen«, höhnte Ulrich.
Die Menge schrie nach Vergeltung für den Überfall auf Maria und für Kuniberts Tod. Sie drohte allen Herumtreibern, die es wagten, sich in Rinteln blicken zu lassen, drakonische Strafen an.
Agnes hatte Ludolfs Hand genommen und drückte sie kräftig. Ihre Wut war deutlich zu spüren. Sie war kurz vor dem Platzen. Als sie seine Hand wieder losließ und losstürzen wollte, hielt er sie am Arm fest.
»Halt dich zurück!«, flüsterte Ludolf ihr ins Ohr. »Dagegen kommen wir nicht an.«
Sie versuchte ihn abschütteln. »Lass mich! Das Schwein kann jetzt was erleben!«
»Bitte, Agnes, nicht. So helfen wir dem Gefangenen nicht. Du machst die Sache für ihn und uns nur schlimmer. Wir haben auch noch andere Möglichkeiten.«
Wütend funkelte sie Ludolf an. Wie konnte er es nur wagen, für sie zu entscheiden? Er war weder ihr Vater noch ihr Ehemann! Sie schlug ihm mit der Faust mehrfach auf die Schulter, aber er ließ nicht locker.
»Bitte!«, flehte er. »Gegen die Leute kommen wir nicht an. Die zerreißen uns.«
Agnes sagte nichts mehr, sondern ergab sich in ihr Schicksal und wehrte sich nicht mehr gegen seinen Griff. Diesmal mochte Ludolf ja recht haben, ein Unrecht war es trotzdem, was hier geschah. Ihre Augen blitzten noch immer gefährlich und schossen tödliche Pfeile.
Ulrich von Engern hatte von diesem Zweikampf nichts mitbekommen und verkündete nun stolz: »Ich hab den Mörder. Ihr könnt nach Hause gehen.«
»Hat er denn gestanden?«, rief Agnes.
»Noch nicht.«
»Wenn ihr keinen begründeten Hinweis habt oder jemand die Schuld bezeugt, ist die Verhaftung unrecht.«
Ulrich winkte herrisch ab. »Er ist ein Jude. Er wird eingesperrt. Ich habe schon länger nach Verbrechern gejagt als ihr. Ich kenn mich damit aus.«
Die Nonne wollte gerade eine entsprechende Antwort geben, als Ludolf ihr unsanft ins Hinterteil kniff und sie anzischte, endlich den Mund zu halten. Erschrocken fuhr sie herum und rieb sich die brennende Stelle. Weniger der Schmerz als vielmehr der Schreck ließ sie nun schweigen. Als Vergeltung trat sie Ludolf kräftig gegen das Schienbein. Nun war er an der Reihe, ein schmerzverzerrtes Gesicht zu machen. Alles halb so schlimm, dachte er, Hauptsache, sie hielt endlich ihr vorlautes Mundwerk. Gerechtigkeitssinn ist ja sehr lobenswert, ohne Geduld kann diese Eigenschaft jedoch alles nur noch schlimmer machen.
Ulrich und seine Reiter waren inzwischen von den Pferden gestiegen und mit ihrem Gefangenen im Rathaus verschwunden. Die Zuschauer unterhielten sich zwar noch aufgeregt, aber nach und nach löste sich der Pulk auf, und die Menschen gingen wieder ihrer täglichen Arbeit nach. Zurück blieben Ludolf und Agnes.
»Was sollte das, du Spinner?«, maulte sie schließlich.
»Ulrich und seine Reiter hätten uns plattgemacht. Und dann?«
Grimmig schaute sie ihn von der Seite an. »Ich meine nicht das mit diesem ... diesem ... Ulrich. Warum hast du mir in den Hintern gekniffen? Wenn das nun jemand gesehen hat? Was sollen die Leute denken?«
»Die denken bestimmt: der Glückspilz! Dürfte ich doch auch einmal in diesen knackigen Po kneifen.«
Ungläubig schaute Agnes ihn an, als hätte er in einer ihr unbekannten Sprache gesprochen. Erst als sich wieder seine Lachfältchen in den Augenwinkeln zeigten, verstand sie. Blitzschnell drehte sie sich um und hielt sich den Mund zu. Sie konnte nicht anders, sie prustete einfach los. Ihre Anspannung löste sich in einem nicht zu unterdrückenden Lachen, das ihr die Tränen in die Augen trieb. Als sie sich schließlich wieder einigermaßen beruhigt hatte, zeigte sie ihm einen Vogel.
Mit einem verständnislosen Kopfschütteln resümierte sie. »Du bist tatsächlich der größte Spinner, den ich kenne.«
»Hat dich das schon jemals gestört?« Er grinste breit.
Erst mit gewisser Verzögerung antwortete sie: »Nö.«
»Ich darf also noch
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