Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
mittleren Alters erschien. Seine Augen funkelten grimmig. Der ungepflegte Vollbart unterstrich sein wildes, zorniges Aussehen.
»Wer seid ihr?«, fuhr er die Besucher ohne Begrüßung an.
»Wir sind vom Rat der Stadt beauftragt worden, den Tod von Kunibert Nachtigal zu untersuchen«, antwortete Agnes sehr gefasst. Trotz des aggressiven Auftretens des Mannes versuchte sie ruhig zu bleiben. »Wir suchen Werner Lothe. Seid ihr das?«
Er antwortete laut und herrisch: »Das geht euch ’n Dreck an! Ich will nix mehr damit zu tun haben.« Er drehte sich um und wollte die Tür zumachen.
Schnell ergriff Ludolf das Wort: »Ihr wollt also nicht wissen, wer euren Freund umgebracht hat? Könnt ihr das mit eurem Gewissen vereinbaren?«
Werner Lothe hielt inne. »Was versteht ihr denn davon? Oder kommt jetzt wieder die dusselige Ausrede: So was hab ich auch schon durchgemacht?«
»Zum Glück wurde noch keiner meiner Freunde getötet. Aber ich stehe zu ihnen und falls sie umkommen auch zu ihrer Familie. Ihr denkt doch genauso. Oder etwa nicht?«
Der Mann strich sich verlegen durch seinen Bart. Finster musterte er seine Besucher. Schließlich antwortete er in gemäßigterem Ton: »Ich hab schon alles gesagt. Wozu kommt ihr denn noch?«
Agnes und Ludolf sahen sich erstaunt an und fragten wie aus einem Mund: »Wieso alles gesagt?«
Lothe überlegte einen Augenblick und öffnete die Tür dann ganz. »Kommt rein. Das muss nicht jeder hören.«
Ludolf und Agnes traten ein und wurden in die kleine, rußgeschwärzte Küche geführt. Ein grob gezimmerter Tisch, zwei Bänke und ein Hocker standen an einem Ende des Raumes. Am anderen Ende befand sich die Kochstelle, in der im Moment kein Feuer brannte. Sonst war im Haus nichts zu hören – kein geschäftiges Treiben, kein Geschrei von spielenden Kindern. Die Besucher nahmen am Tisch Platz. Werner Lothe setzte sich auf den Hocker.
»Was ist passiert?«, fragte Agnes.
»Ich bin heute Morgen vom Herrn von Engern wegen Kuniberts Tods verhaftet und befragt worden.«
Ludolf und Agnes waren vollkommen perplex. Unruhig rutschten sie auf der Bank hin und her. Davon hatte Ulrich nichts berichtet. Und plötzlich wurde den beiden klar, warum er am Morgen erst so spät eingetroffen war. Er hatte sich von Anfang an einen Dreck um eine vernünftige Zusammenarbeit geschert und schon längst eigene Untersuchungen angestellt.
»Davon wussten wir leider nichts«, entschuldigte sich Agnes. Sie war wieder kurz vor dem Platzen, aber sie hielt sich eisern zurück. »Auch wir sind von der Art und Weise, wie Ulrich von Engern die Suche angeht, nicht begeistert.«
Lothe nickt zustimmend. »Da könnt ihr einen drauf lassen! Ich hab meine Frau und die Kinners zu meiner Schwiegermutter gebracht. Die waren noch immer fertich von’er Verhaftung. Dieser Hampelmann!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
Die beiden Besucher konnten die Wut des Mannes gut verstehen.
»Was ist denn passiert?«, fragte Ludolf schließlich.
Der Hausherr kratzte sich seinen Bart und erzählte dann die Geschehnisse des Morgens. Einige Männer waren in aller Herrgottsfrühe zu Lothes gekommen. Die Familie war gerade bei der Morgenmahlzeit gewesen, da sich der Holzfäller üblicherweise kurz nach Sonnenaufgang mit seinen Kollegen in den Wald begab. Mit Schwertern und Lanzen waren die Lothes gezwungen worden mitzukommen. Sie waren zum Hof von Ulrich geführt worden. Es war eine peinliche Situation gewesen, aber zum Glück waren in Rinteln so früh noch nicht viele Leute unterwegs gewesen. Auch die anderen Holzfäller mitsamt deren Familien waren geholt worden. Ulrich hatte wissen wollen, wo jeder einzelne Waldarbeiter am Abend des Überfalls auf Maria gewesen war. Erst als noch zusätzlich herbeigeholte Freunde und Verwandte den Verbleib bezeugt hatten, war die ganze Versammlung wieder freigelassen worden. Natürlich ohne Ergebnis. Keiner der Arbeiter hatte noch Lust gehabt, zur Arbeit zu gehen. Jeder hatte sich lieber um seine verstörten Angehörigen gekümmert.
»Warum dachte Ulrich von Engern, ihr hättet etwas mit Kuniberts Tod zu tun?«
»Der meinte, wir hätten Streit gehabt.«
»Ist das so?«
Ärgerlich schlug Werner Lothe wieder mit der Hand auf den Tisch, sodass es knirschte. »Selbst wenn es Streit gäbe, hätt ich bestimmt nix gesagt. Aber wieso sollte ich meinen besten Freund töten? Er ist ein sehr anständiger Kerl.« Er stockte. »War ein anständiger Kerl. Ich kann noch immer nich glauben, dass er nun
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