Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
mal?«
Sie richtete sich auf und hob drohend ihren Zeigefinger. »Wag es nicht!«
Lächelnd standen sie sich gegenüber und blickten sich nur an. Langsam ging Ludolf auf sie zu, bis er nur noch wenige Handbreit von ihr entfernt war. Gerade wollte er ihre Hände ergreifen, als eine Frau, die auf dem Weg zur Kirche war, Agnes grüßte. Die Nonne erschrak und stotterte eine kurze Erwiderung. Sofort war sie sich der verfänglichen Situation bewusst und machte einen Schritt rückwärts.
Auch Ludolf hatte verstanden. Verlegen kratzte er sich am Hals und wechselte sofort das Thema: »Wen befragen wir jetzt?«
»Wir wollten doch noch einmal zu Marias Nachbarin wegen Kuniberts Eltern.«
Er nickte und beide machten sich dann auf den Weg – mit einer Armeslänge Abstand voneinander.
Die ältere Nachbarin
Agnes und Ludolf näherten sich dem Haus, in dem Maria und Kunibert wohnten. Schon von Weitem sahen sie Simon auf der Mauer sitzen. Mit kleinen Steinen bewarf er die gegenüberliegende Umfassung. Dies war allem Anschein nach sein Lieblingsplatz, von dort aus konnte er alle Vorbeikommenden beobachten und notfalls nach hinten in den Garten verschwinden.
Agnes winkte dem Jungen zu, als er sie erblickt hatte. Sollte sie ihm erzählen, dass sie seine Schwester gesehen hatte? Aber was konnte man ihm ohne Probleme sagen? Dass Adelheid schwanger war? Das hätte nur Ärger gegeben, weil Simon damit sofort zu seinen Eltern gelaufen wäre. Die hätten natürlich auf der Stelle ihre Tochter sprechen wollen, um zu erfahren, welcher Unhold sich an ihr vergangen hatte. Ulrichs kleiner Harem im Kloster wäre zwar aufgeflogen, und man hätte endlich gewusst, wie der Kerl an die Mädchen kommen konnte, aber das hätte die Nachforschungen zum Erliegen gebracht. Also nahm sich Agnes vor, einen besseren Augenblick für diese Hiobsbotschaften abzuwarten.
Simon war von der Mauer gesprungen und lief erfreut auf sie zu. »Ihr braucht wohl doch meine Hilfe?«
Agnes lächelte. »Vielleicht brauchen wir einen Führer für Rinteln.«
»Einverstanden. Was zahlt ihr mir?«
Agnes lachte auf. »Ich denke, du bist Marias Freund. Und dann verlangst du eine Entlohnung für deine Hilfe?«
Simon schwieg und blickt missmutig zu ihr hoch. Ärgerlich trat er gegen einen kleinen Stein, der Staub aufwirbelnd davonflog.
Agnes wuschelte ihm durch die blonden Haare. »Du kleiner Halunke!« Sie zwinkerte ihm lächelnd zu. »Wir haben bestimmt eine Kleinigkeit für dich.«
Simons Gesicht hellte sich wieder auf. »Geht in Ordnung. Sagt Bescheid, und ich helfe euch.«
»Machen wir sofort.«
»Hand drauf?«, fragte er verschmitzt.
Agnes und Simon reichten sich die Hände und drückten, so fest es ging. Keiner von beiden wollte sich die Blöße geben und als Erster aufgeben – hier ging es um die Ehre. Der Junge biss die Zähne zusammen, sein Gesicht lief rot an, und er knurrte wie ein Hund. Schließlich gab Agnes nach und flehte lächelnd um Gnade. Stolz und beschwingt marschierte der Sieger von dannen und kletterte wieder auf seinen Beobachtungsplatz auf der Mauer.
Ludolf war inzwischen ins Haus gegangen und hatte an die Tür der älteren Nachbarin geklopft. Als Agnes ankam, öffnete die Frau gerade.
»Ach, ihr seid’s. Habt ihr schon was?«, begann sie ohne Umschweife.
Der junge Mann verneinte und erzählte in kurzen Worten vom erfolglosen Besuch bei Kuniberts Eltern. »Könnt ihr uns helfen? Entweder sind die Nachtigals sehr verschlossen oder haben große Angst.«
Das Gesicht der Alten hatte sich verfinstert. Sie nickte wissend. »So wie die sind einige hier in Rinteln. Die ham Angst.«
»Wovor?«
»Angst, Haus und Hof zu verlieren.«
»Wieso sollten sie das?«
Erstaunt zog die Frau die Augenbrauen hoch. »Hatte ich euch nicht von diesem Ulrich erzählt?«
»Doch«, bejahte Ludolf.
»Er verleiht Geld, und wer nicht bezahlen kann, verliert noch das Wenige, was er vorher hatte.«
»Und Kuniberts Eltern haben also auch von Ulrich Geld bekommen.«
Sie nickte heftig. »So isses. Vor fünf Jahren warn die mit die Ersten, die von Ulrich von Engern was kriegten. Die durften in die alte Bruchbude auf seinem Grundstück einziehn. Der alte Nachtigal wurd dann schwer krank und Kunibert konnt nich genug mit der Holzfällerei verdienen. Irgendwann gab’s Streit zwischen Ulrich und Kunibert. Hier vor der Tür war’s.« Sie fuchtelte wild mit dem Arm und deutete auf den Hauseingang. »Hab’s genau gehört! Kunibert hat gedroht: Ich zahl dir nix mehr,
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