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Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Domeier
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ausruhte. Sie winkten Ludolf und Agnes herbei.
    Nach der freundlichen Begrüßung nahm Agnes neben Nikolaus Binder auf der Bank Platz, während sich Ludolf auf einen Holzstoß setzte. Der Junge lief lachend um sie herum.
    Der alte Mann musste schon weit über siebzig Jahre alt sein, vielleicht sogar schon über achtzig. Sein schulterlanges, weißes Haar und sein ebenso gefärbter Bart gaben ihm ein weises, ehrwürdiges Aussehen. Er hatte einen blank polierten Gehstock zwischen seinen Knien stehen. Nikolaus Binder war also körperlich sicher nicht mehr in der Lage, einen kräftigen Mann wie Kunibert zu töten. Dafür blickten seine Augen umso wacher und lebendiger.
    »Simon sagte mir schon, wer ihr seid und dass ihr den Überfall auf das Ehepaar Nachtigal untersucht.« Der alte Mann klang heiser.
    Agnes bejahte.
    »Die Armen! Der Kunibert war sehr anständig. Ich habe auch ein paarmal mit Maria gesprochen. Sie machte immer einen traurigen, melancholischen Eindruck. Sie muss in ihrer Kindheit was Schlimmes erlebt haben.«
    »Das vermuten wir auch. In den Kriegswirren in Italien wurde sie verschleppt.«
    »Ja, ja.« Sein wallender Bart wippte beim Sprechen.
    »Der Pater Bassenberg sagte uns, euch gefalle nicht, dass Maria Visionen hat.«
    Nikolaus schaute die Nonne scharf von der Seite an. Er lächelte wissend. »Ach, deswegen seid ihr zu mir gekommen. Ihr dachtet, ich hätte versucht, Maria meine Meinung ...« Er hieb seinen Stock mehrfach auf den Boden. »... mit schlagenden Argumenten darzulegen.«
    »Entschuldigt bitte. Ja, uns war dieser Gedanke in den Sinn gekommen. Nur kannten wir euch da noch nicht.«
    Er klopfte ihr väterlich auf die Schulter. »Schon gut, meine Liebe. Ich nehm’s euch nicht krumm.«
    Agnes wurde leicht rot im Gesicht und schaute auf ihre Fußspitzen.
    Nikolaus Binder lächelte vergnügt und fuhr fort: »Der Priester von St. Nikolai ist halt sehr ehrgeizig. Er will Rinteln zu einem Wallfahrtsort machen. Ich befürchte nur, auf Kosten des armen Mädchens. Ich bezeichne das als Vergewaltigung. Und neuerdings macht er ein Tamtam um sein Blutwunder. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für ein schrecklicher Auflauf das letzte Ostern war! Das war keine Wallfahrt, das war ein Jahrmarkt.«
    »Ihr habt dem Pater gedroht?«
    Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Ich sag’s mal so: Ich nehme kein Blatt vorm Mund. Er soll nicht das Seelenheil anderer aufs Spiel setzen, nur um sich in den Vordergrund zu drängen.«
    »Habt ihr so offen auch zu Maria gesprochen?«
    »Ich hab’s versucht. Aber ich denke nicht, dass sie mich verstanden hat. Alles, was Hosen trägt, macht sie nervös. Als hätte sie Angst vor Männern. Außer sie sind noch so jung wie Simon oder schon alt und gebrechlich wie ich.« Bei den letzten Worten kicherte er leise vor sich hin.
    Agnes wusste genau, was der alte Verwalter meinte. Nach der brutalen Verschleppung aus ihrer Heimat und der anschließenden, jahrelangen Schändung war diese Abneigung wirklich kein Wunder. Jeder Mann, dem Maria begegnete, wurde in dieses Schema eingeordnet. Katzen, die den kleinen Spatz langsam zu Tode quälten. Wie treffend sie es doch formuliert hatte. Es grenzte eher an ein Wunder, dass sich das erniedrigte Mädchen nicht das Leben genommen hatte. Aber höchstwahrscheinlich hatte die strenggläubige Erziehung verhindert, solch eine schwere Sünde zu begehen.
    Ludolf fragte nun: »Wenn ihr immer so offen und ehrlich sprecht, würdet ihr dann Maria als Ketzerin bezeichnen?«
    Nikolaus musterte sein Gegenüber mit seinen wachsamen Augen. »Wie meint ihr das, junger Mann? Ob ich sie schon so bezeichnet habe? Oder ob ich so über sie denke?
    »Äh ... beides.«
    Der Alte lachte leise vor sich hin. »Gesagt habe ich ihr das nie. Aber dem Priester. Dieses ganze Trara um die Wunder und Visionen lenkt nur vom schlichten, einfachen Glauben ab. Es drängt Gott in den Hintergrund, macht ihn zu einer Nebenperson. Deswegen nenn ich das Ketzerei. Aber wenn Maria eine Ketzerin ist, hat Bassenberg sie dazu gemacht. Dann ist er der eigentliche Ketzer. Wie heißt es so schön in der Heiligen Schrift:
Wenn ein Blinder einen Blinden leitet, so werden beide in eine Grube fallen
. 29 « Er schwieg einen Moment. Mit leiser und sehr ernster Stimme sprach er weiter: »Manchmal denke ich, es wäre für Maria besser, sie würde sterben, als dieses Leben führen zu müssen. Besser, sie anstatt Kunibert wäre getötet worden.«
    Alle schauten sich plötzlich schweigend an.

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