Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
aufdringlich. Obwohl allen Beteiligten klar ist, dass dieser Ulrich ein Ekel ist, kann er sich irgendwie immer durch alle Widrigkeiten durchmogeln. Mit jedem Mal wird er einflussreicher.« Nikolaus Binder machte eine kurze Pause und schaute gedankenverloren zum blauen Himmel empor. Nach einem kurzen Moment sprach er weiter. »Dem Grafen und der Gräfin ist dieses ganze Geschehen auch nicht angenehm. Sie blicken schon seit einiger Zeit mit Besorgnis auf Ulrich. Der Bürgermeister und der Rat werden von ihnen geduldet und kontrolliert, aber Ulrich ist nicht kontrollierbar. Und durch die Verehrung, die Maria bei den meisten in der Bevölkerung genießt, wird die gräfliche Familie langsam nervös.«
»Sie fürchtet um ihre Macht?«, fragte Ludolf.
Der weißhaarige Mann ließ sich Zeit mit der Antwort. »Das wohl weniger. Es geht eher um die Kontrolle und den Frieden. Wenn Rinteln ein Wallfahrtsort wird, werden viele Menschen kommen – auch zwielichtige: Betrüger, Diebe, Huren. Die Stadt wird unruhiger und schwerer zu kontrollieren sein. Andererseits wird durch den Zuwachs an Einwohnern und Bürgern die Position des Rates gestärkt. Irgendwann wird er versuchen, sich von der gräflichen Vorherrschaft frei zu machen.«
Ludolf blies den Atem hörbar aus: »Zu gerne wüsste ich, was der Graf in dieser Angelegenheit zu sagen hat.«
»Gehen wir doch hinüber und fragen ganz einfach.«
Ludolf schaute völlig verwirrt um sich. »Wie?«
»Die Gräfin ist nebenan. Ich habe mit ihr schon heute Mittag gesprochen. Wenn ich sie frage, empfängt sie euch bestimmt sofort.«
Noch ehe sich Ludolf von der Überraschung erholt hatte, war Agnes aufgesprungen und rief hocherfreut: »Einverstanden.« Sie brannte darauf, die Mutter der neuen Äbtissin von Möllenbeck kennenzulernen.
Nikolaus Binder begann herzlich zu lachen. »Seid ihr immer so schnell bei der Sache, Kindchen?«
Sie nickte und antwortete: »Jawoll.«
»Ihr gefallt mir. Schade, dass ich schon zu alt bin.«
Agnes lächelte vergnügt und zwinkerte Ludolf belustigt zu.
Der alte Verwalter erhob sich langsam und stützte sich auf seinen Gehstock. »Denn man los.« Und an Simon gewandt sagte er: »Du wartest am besten hier auf uns.«
Der Junge trat beleidigt gegen den Holzstoß, sodass dieser gefährlich wankte. »Immer wenn es spannend wird, darf ich nicht mit. Das ist gemein!«
Agnes wuschelte ihm die Haare. »Wir werden dir das Wichtigste natürlich berichten. Ohne deine große Hilfe hätten wir doch noch nicht so viel in Erfahrung bringen können.«
Simons Gesicht klärte sich zwar wieder etwas auf, aber immer noch missmutig setzte er sich auf die Bank und verschränkte seine Arme vor der Brust. Er war aufs Tiefste beleidigt.
»Das kann ja keiner mit ansehen!« Nikolaus gab scherzend nach. »Na gut. Du darfst mitkommen.«
Bei der Gräfin
Durch ein Gartentor betraten die vier das Anwesen der gräflichen Familie von Schauenburg. Zwischen der Mauer und den Stallungen standen hier ebenfalls verschiedene Bäume und Büsche. Sie waren gerade beim Wirtschaftsgebäude angelangt, als ihnen ein mürrisch dreinblickender Mann mittleren Alters entgegentrat. Er war edel gekleidet mit samtener Jacke und einem breitkrempigen Hut. Misstrauisch begutachtete er die Besucher von oben bis unten.
»Was wollt ihr hier?« Seine Stimme klang herrisch.
Noch ehe Ludolf oder Agnes etwas sagen konnten, gab Nikolaus Binder ihnen zu verstehen, dass sie ihm die Angelegenheit überlassen sollten. Er wandte sich nun erhobenen Hauptes an den Mann, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte.
In einem ruhigen, aber bestimmten Ton antwortete er: »Mein lieber Neffe, wir wollen mit der Gräfin sprechen. Du hast doch sicherlich nichts dagegen?«
»Um was geht es?«, kam es nur barsch.
»Es geht um den Mord an Kunibert Nachtigal. Diese beiden Herrschaften sind vom Rat der Stadt beauftragt worden.«
»Die Gräfin will nicht gestört werden.«
»Wenn, wird sie mir das bestimmt selbst sagen, mein Junge.«
Der ehemalige Verwalter versuchte an seinem Neffen vorbeizugehen, doch der stellte sich ihm wieder in den Weg. »Onkel, maßt euch nichts an, was euch nicht zusteht.«
Jetzt blickte Nikolaus Binder dem Mann direkt in die Augen. »Auch wenn ich nicht mehr Verwalter hier bin, so hat mein Wort aber immer noch mehr Gewicht, als dir lieb sein dürfte. Ich habe mich schon als vertrauenswürdig erwiesen. Du musst es erst noch.«
Plötzlich drehte sich der Mann um und grunzte nur: »Folgt mir.«
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