Die Heilsame Kraft Der Inneren Bilder
ich mich dem anderen und mache mich so auch verwundbar. Es gibt keine Liebe ohne Verwundbarkeit. Aber auch hier wäre wichtig, sich immer wieder zu fragen: Hat mein Partner oder meine Partnerin mich verletzen wollen? Oder war es nicht in Wirklichkeit die Nichterfüllung meiner Vorstellung, die mich verletzt hat?
Oft werden wir tatsächlich vom anderen verletzt. Aber wie wir diese Verletzung erfahren, hängt dennoch von unseren Vorstellungen ab. Der andere hat mich stark kritisiert und damit meine wunde Stelle getroffen. Ich fühle mich tief verletzt. Ich gehe in die Opferrolle. Ich steigere mich hinein in die Verletzung. Ich armer Mann werde so hart kritisiert, obwohl ich mich so für die andern einsetze. Wenn ich mich in diese Opferrolle hineinsteigere, dann geht es mir aber immer schlechter. Die Verletzung kann ich nicht rückgängig machen. Aber wie ich darauf reagiere, das hängt von mir ab, von den inneren Bildern, mit denen ich auf die Verletzung reagiere. Ich kann mit dem Bild des Opferlamms reagieren. Dann leide ich still vor mich hin. Eine andere Form der passiven Reaktion ist die Aggression. Wenn ich aggressiv auf die Verletzung reagiere, meine ich, ich würde aktiv reagieren. In Wirklichkeitlasse ich mir meine Reaktion vom andern vorschreiben. Sowohl das Bild des Martyrers als auch das Bild des Rechtfertigers oder des Rechthabers führen zu passiven Reaktionen. Eine aktive Reaktion auf die Verletzung sieht anders aus. Ich schaue mir die Verletzung an und spüre in mich hinein, um zu erspüren, welche Reaktion jetzt angemessen ist, was mir mein Herz sagt und wie mein Herz reagieren möchte. Eine Form der aktiven Reaktion zeigt uns Jesus, wenn er uns im Lukasevangelium auffordert: »Segnet die, die euch verfluchen.« (Lk 6,28) Segnen ist eine aktive Reaktion. Ich schicke dem, der mich verflucht, der negative Worte gegen mich gesagt hat, im Segen gleichsam eine positive Energie, die die verletzende Energie auflöst. Der Segen schützt mich vor der Verletzung. Und ich fühle mich besser. Denn ich halte im Segen einen Schutzschild vor mich und ich werde aktiv, indem ich den Segen zu dem sende, der mich verletzt hat. Die Vorstellung vom Segen schützt mich vor der negativen Energie des Verletzenden. Und sie bewirkt in mir innere Ruhe und Frieden. Das Bild des Segens lädt mich zu einer aktiven Reaktion ein, die die Situation von innen heraus verwandelt.
Wir tragen nicht nur bestimmte Bilder von uns in unserer Seele. Wir haben auch Bilder vom anderen. Und mit diesen Bildern legen wir ihn fest. Dann sehen wir ihn nicht mehr so, wie er ist, sondern immer nur im Licht des Bildes, das wir auf ihn projiziert haben. C. G. Jung erklärt das am Beispiel vom Verteufeln. Oft verteufeln wir den andern: er sei ganz und gar schlecht. Doch wenn wir den andern verteufeln, dann muss der andere kein schlechter Mensch sein. »Im Gegenteil: er kann ein ganz besondersguter Mensch sein, der aber mit dem Projizierenden inkompatibel ist, daher zwischen beiden eine ›teuflische‹ (d. h. trennende) Wirkung stattfindet. Auch der Projizierende braucht kein Teufel zu sein, obschon er anzuerkennen hat, dass er das Teuflische ebenso gut in sich hat und erst noch darauf hereingefallen ist, insofern er es projiziert.« (Jung, Band 7, 104) Der Teufel steht hier für die Schattenseite des Menschen. Weil wir sie nicht bei uns wahrnehmen, projizieren wir sie auf den andern. Dadurch legen wir ihn auf ein negatives Bild fest. Auf diese Weise wird die Beziehung zum andern schwierig. Beziehungsarbeit heißt immer auch, die Bilder, die ich von mir in mir trage, und die Bilder, die ich mir vom andern gemacht habe, zu hinterfragen und durch die Bilder zu meinem wahren Selbst und zum Selbst des andern vorzudringen, um mich und den andern so zu sehen, wie wir wirklich sind.
Marie-Louise von Franz, eine Schülerin von C. G. Jung, hat sich ausführlich mit dem Thema der Projektion befasst. Für Jung ist die Projektion »eine unbewusste, d. h. nicht wahrgenommene und unabsichtlich geschehene Hinausverlegung eines subjektiven seelischen Tatbestandes in ein äußeres Objekt«. (Franz 11) Die Projektion entsteht oft aus den Erfahrungen der Kindheit: »Zum Beispiel erlebt ein Sohn seinen Vater als tyrannisch; nicht nur projiziert er dann oft später auf Autoritätspersonen und Vaterfiguren, wie den Arzt, den Vorgesetzten oder den Staat, die Eigenschaft eines Tyrannen, sondern er wird sich ebenso sehr selber – jedoch
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