Die heimliche Gemahlin
seine Freundschaft nicht so weit, sie und Daniel freizulassen. Diesen Halunken konnte man eben nicht vertrauen. Auch Daniel verhielt sich in der Gegenwart der Bande ausgesprochen wachsam, wie sie bemerkt hatte. Und der kannte sie wahrlich gut genug.
Lächelnd guckte Seward sie an. „Ich lasse Sie nun allein, Mrs. Brennan. Legen Sie sich hin. Es dauert noch ein paar Stunden, bis wir aus dem Stag Inn das Essen kommen lassen. Es bleibt Ihnen also genug Zeit zum Schlafen.“
„Danke.“
Kaum war er hinausgegangen, eilte sie zum Fenster, aber das war zugenagelt, und davor schob unten jemand Wache. Entmutigt nahm sie an einem kleinen Tisch Platz, griff zu Papier und Stift und begann zu zeichnen. Als sie das Blatt aufklappte, erblickte sie die Skizze von Daniel.
Wenigstens für eines war dieser ganze Albtraum gut gewesen: Sie wusste jetzt genau, was sie wollte. Und vor allem, wen. Die Ereignisse dieses Morgens hatten ihr endgültig bewiesen, dass ihr Leben zu kurz war, um es sich von falschem Stolz verderben zu lassen. Falls sie dieses Abenteuer überleben sollte, wäre sie ein schrecklicher Dummkopf, wenn sie Daniels Antrag nicht annehmen würde. Denn sie liebte ihn - das war ihr nun klar: seine Stärke, seine Anständigkeit, aber auch die Zärtlichkeit, die er unter der rauen Schale verbarg.
Und immerhin wünschte er sie sich zur Gemahlin. Mochte er sie auch jetzt noch nicht lieben, sie würde warten, bis er es tat. Ja, er hatte ihr sogar die Treue versprochen, und sonderbarerweise glaubte sie ihm. Sie wollte ihn heiraten, falls sie in diesem Leben dazu noch Gelegenheit erhielt.
Entschlossen drehte sie das Blatt um und begann mit den Skizzen.
Gequält saß Daniel neben den Schmugglern und versuchte, nicht an Helena zu denken, die jetzt ganz alleine oben im Zimmer saß. Es war ihm nur unter äußerster Willensanstrengung gelungen, sie überhaupt gehen zu lassen. Wenn ihr etwas zustoßen sollte ...
Wütend ballte er die Faust. Und selbst wenn sie beide Crouch lebend entkamen, stand eine Heirat mit Helena jetzt völlig außer Frage. Wie war er nur je auf den Gedanken verfallen, seiner Vergangenheit entfliehen zu können? Helena, sein Geschäft, das waren alles nur Luftschlösser gewesen. Doch mit den Träumereien hatte es nun ein Ende. Dies war die Wirklichkeit, und es wurde Zeit, dass er sich damit abfand. Ein solches Leben durfte er Helena nicht zumuten. Er würde nicht zulassen, dass sie noch einmal durch ihn in Gefahr geriet oder auch nur mit solchen Halunken in Berührung kam.
„Also“, meinte er endlich in die Runde. „Welcher von euch Schurken ist Morgan Pryce?“
„Pryce ist nicht hier“, antwortete der junge Ned, der gerade mit drei anderen Kerlen Karten spielte, um sich die Zeit zu vertreiben.
„Wird er später noch auftauchen? Würde ihn gern einmal treffen“, verkündete Daniel betont gleichmütig.
„Oh, der hat sich hier schon seit Wochen nicht mehr blicken lassen.“ Ned legte eine Karte auf den Tisch. „Arbeitet in irgendeiner Sache für Crouch. Keine Ahnung, worum’s da geht. Jack macht ein großes Geheimnis aus der ganzen Angelegenheit.“
Also hat Jack nicht gelogen, dachte Daniel erleichtert. „Dann weißt du bestimmt nicht, wo Pryce sich jetzt aufhält, oder?“
Von der Tür war Jacks Stimme zu hören. „Weder er noch einer der anderen.“
Doch auch Sewards Anwesenheit hielt Daniel nicht davon ab weiterzubohren. „Seit wann gehört Pryce denn zu euch?“
Achselzuckend setzte sich Jack an den Tisch. „Schon eine Weile.“
„Mir ist zu Ohren gekommen, er sei ein wahrer Gentleman. Was will er dann bei euch raubeinigen Gesellen?“
„Langeweile, nehme ich an“, entgegnete Jack. „Vielleicht braucht er auch Geld. Wer kann schon sagen, wieso einer der vornehmen Herren sein Glück als Schmuggler versucht? Die beste Antwort darauf kann dir dein Freund Knighton geben. Der tut das schließlich schon viel länger als Pryce.“ Er goss Brandy in ein Glas und schob es Daniel hin. „Aber jetzt genug davon. Trink einen Schluck und beruhige dich. Freu dich doch, wieder bei uns zu sein.“
Unwillig kam Daniel der Aufforderung nach. Sofort wurde ihm nachgeschenkt. So leerte er Glas um Glas, bis er keine Ahnung mehr hatte, wie viele es gewesen waren. Allerdings hatte er kaum etwas davon getrunken, sondern den Schnaps unauffällig in einen Nachttopf geschüttet, der neben dem Tisch stand.
Er musste seine fünf Sinne beisammenhalten und herausfinden, wo Juliet gefangen gehalten wurde.
Weitere Kostenlose Bücher