Die heimliche Lust
sei, mich zu verlieren. Was ja stimmte. Seine Angst ließ bald darauf nach, und er war wieder derselbe beherrschte, etwas geistesabwesende Ehemann wie immer. Er wollte nicht darüber sprechen, weder damals noch später, als ich ihn fragte, was denn seine Angst ausgelöst hätte. Unter normalen Umständen hätte ich ihm sicher in den Ohren gelegen, es mir doch zu sagen — Sie können sich vorstellen, daß ich nicht der Typ bin, der einen Angsttraum beiseite schiebt, ohne zu versuchen, ihn zu analysieren; ich hatte jedoch ein zu schlechtes Gewissen, um darauf zu beharren. Aber ich sage Ihnen, ich war gerührt, wie man es ist, wenn ein Kind einen schrecklichen Alptraum hat, der sichtlich aus den Ereignissen des Tages entstanden ist, und man weiß, welche Rolle man selbst darin spielt, wer die böse Hexe in diesem Traum ist. Ich dachte bei mir, was tust du da eigentlich, June?
Trotzdem kann ich Jonathan nicht aufgeben. Ich weiß, um meine Affäre wirklich zu erklären, um sie zu rechtfertigen, wäre es verständlicher, wenn ich Russell irgendwie als schlecht hinstellen könnte, so wie Männer immer behaupten, sie schliefen mit anderen Frauen, weil ihre Frau sie nicht versteht. Aber Russell ist in Ordnung. Er versteht mich im Grunde nicht , ja, aber ich glaube, das ist nicht das Entscheidende. Ich weiß auch nicht. Ich bin an ihn gewöhnt. Er ist ein bißchen konservativer als ich, auch häuslicher, ich meine, er ist sehr gern mit Chloe und mir zusammen. Er ist ein sehr guter Mensch. Er... rührt mich, mit seiner geraden Art, wie Gary Cooper, sehr anständig, sehr gut. Der Ein-Mann-ein-Wort-Typ. Keine Theatralik. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, daß Russell ein Verhältnis hat — ist das nicht sonderbar? Ich kann es wirklich nicht .«
»Keine der Frauen, mit denen ich über dieses Thema gesprochen habe, kann sich vorstellen, daß ihr Mann ein Verhältnis hat — jedenfalls nicht, wenn sie gerade selbst eines hat«, sage ich. »Offenbar besteht das Bedürfnis, von der Treue des Partners überzeugt zu sein .«
»Dabei habe ich die Männer immer gehaßt, die von ihren Frauen behaupteten: >Sie würde nie mit jemand anderem schlafen. Sie würde das nie wollen<, oder >Sie mag keinen Sex<, oder >Sie denkt nur an die Familie...<«
»Und warum glauben Sie dann, daß Russell nie ein Verhältnis haben würde ?« frage ich sie.
»Es geht nicht darum, daß er nie eines haben würde, sondern daß er sich nach meinem Gefühl auf so viele Leute nicht einläßt. Falls Sie glauben, daß ich etwas sagen werde wie: >Weil er nur eine Frau liebt, und das bin ich<, dann sind Sie auf dem Holzweg .«
»Wenn er eine Affäre hätte, wären Sie dann beunruhigt ?«
»Ja. Ich glaube schon. Ich bin auch jetzt beunruhigt. Aber dann würde das bedeuten, daß unsere Familie in Gefahr wäre .«
»So, wie es jetzt läuft, denken Sie, jemand muß den Laden zusammenhalten .«
»Ja. Genau. Daß nicht alles den Bach runtergeht. Und ich möchte mit ihm verheiratet bleiben. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, nicht mit ihm zusammen zu sein. Ich weiß, daß mir Jonathan viel bedeutet, aber das heißt nicht, daß ich meine Ehe beenden möchte. Ich weiß, ich klinge schon wieder wie ein Mann, aber meine Ehe ist einfach eine andere Geschichte. Jonathan ändert daran nichts .«
Das ist es, was June letztlich die größten Rätsel aufgibt. »Offenbar liebe ich zwei Männer«, sagt sie. »Ich habe immer gehört, das sei unmöglich — eine Frau könne nur einen Mann heben, und wenn sie glaubt, zwei zu heben, dann hebt sie wahrscheinlich keinen von beiden. Oder sie läuft vor der Liebe davon oder gesteht sich ihre Wut nicht ein. In Wirklichkeit kenne ich meine Wut auf Russell. Ich wünsche mir, daß er gefühlvoller, humorvoller, zugänglicher wäre. Ich wünsche mir, daß ich das Bedürfnis hätte, mit ihm über meine Gefühle zu sprechen. Ich wünsche mir, daß unser Sexualleben fabelhaft wäre und daß wir miteinander spielten — verstehen Sie, was ich meine? Ich wünsche mir, unsere Ehe wäre nicht so... fad. Und darum stimmt es wahrscheinlich, daß ich wütend bin, aber nur, weil ich mit jemand verheiratet bin, der nicht alle meine Bedürfnisse abdeckt, was natürlich, wie wir alle wissen, ohnehin niemand kann. Ich bin nicht so wütend, daß ich weg möchte. Ich denke nicht jeden Tag, ach, mein Mann, dieser zugeknöpfte Typ! Ich kenne einfach seine Grenzen, habe nicht viel Hoffnung, die Dynamik unserer Beziehung zu verändern — und liebe
Weitere Kostenlose Bücher