Die heimliche Lust
Sex gehabt, mit ihren künftigen Ehemännern und mit anderen Partnern, es war also die Monogamie, die neu für sie war, nicht mehrfache Beziehungen. Dieser Wandel gegenüber früher schlägt sich in Untersuchungen nieder, aus denen hervorgeht, daß eine Frau mit größerer Wahrscheinlichkeit außerehelichen Sex praktizieren wird, wenn sie vorehelichen Sex gehabt hat. Wie aus Befragungen hervorgeht, neigen aber selbst diese Frauen — ebenso wie die Frauen im ganzen Land — dazu, außerehelichen Sex zu mißbilligen. Sie glauben an das heilige Ideal der sexuellen Ausschließlichkeit in der Ehe. Sie meinen, Ehebruch sei unrecht. Damit das »grüne Licht« für Ehebruch also so zwingend werden konnte wie für June — und ihr das Gefühl geben konnte, sie verleugne ihre Bedürfnisse, wenn sie dieses Signal ignoriere — , mußte sie eine emotionale und geistige Kehrtwendung machen, sich einem komplizierten, aber mächtigen selbstverordneten Konditionierungsprozeß unterziehen, der es diesem mißbilligten Verhalten ermöglichte, das erwünschte und akzeptierte zu verdrängen. Für sie ebenso wie für die anderen Frauen bedurfte es dieses Umdenkens, dessen gefühlsmäßige Bewältigung in der Regel durch einen Mann bewirkt wurde.
Daß Männer nach ihrer Heirat immer noch hinter ihr her waren, überraschte June ebenso wie die anderen Frauen. »Klar, ich wußte, daß Männer noch existierten «, sagte die achtundzwanzigjährige, seit einem Jahr verheiratete Sarah zu mir, »und ich fühlte mich zu manchen sogar hingezogen, aber etwas hatte sich in meinem Innersten verändert. Etwas hatte ich abgeschaltet .« Aber dieses Etwas hatte sich nicht notwendigerweise auch für die Männer verändert. »Mein früherer Freund rief mich nach wie vor an und wollte mich sehen, auch nach meiner Hochzeit«, erzählte sie mir. »Ich sagte immer wieder: >Todd, ich bin verheiratet <. Er antwortete stets, >Ja, Sarah, das weiß ich<, als ob ich irgendeine völlig irrelevante Bemerkung gemacht hätte .« Da saß sie nun mit ihrem automatisch einsetzenden Monogamie-Gebot und einem Gefühl, daß sich ihre spontanen sexuellen Regungen »im Innersten« abschalteten — Sarah nannte es das komische Gefühl, mit einem Schild auf der Brust herumzugehen, auf dem in Leuchtschrift »verkauft« stand — , und dennoch hielt es die Männer nicht davon ab, ihr Interesse zu bekunden. Die Erklärung der Soziologin Lynn Atwater in ihrem Buch The Extramarital Connection (1976) lautet, daß
Männer durch die Fortsetzung von Verhaltensweisen, die sie so tief verinnerlicht haben, zu Vermittlungsinstanzen auf dem Weg zur ersten außerehelichen Beziehung werden. Frauen sind bei diesem Vorgang natürlich nicht völlig passiv. Aber die sexuelle Initiative des Mannes, besonders wenn sie direkt und eindeutig ist, bringt einer Frau die Gelegenheit zu außerehelichem Sex so nahe, daß sie sie bewußt zur Kenntnis nehmen und auf sie reagieren muß .« (Hervorhebung durch D. H.)
Was auch könnte eine Frau, die ihr ganzes Erwachsenenleben lang auf sexuelle Avancen reagiert hat, die sich in ihrem Körper wohl fühlt und die andere sexuelle Beziehungen hatte, die sich im Bezirk ihres eigenen Verlangens bestens zurechtfand und seit Jahren damit umging, diese Möglichkeit vergessen lassen? Im Zeitraum von zehn Jahren, zwischen ihrem zwanzigsten und dreißigsten Geburtstag, hatte June Verlangen nach anderen Männern empfunden, obwohl sie nur mit einem schlief; und hatte sie nicht in all ihren komplizierten vorehelichen Beziehungen die Finessen sexueller Etikette und sexueller Gefühle gemeistert? Sie kannte die Wirkungsweise ihres eigenen sexuellen Begehrens — wie es sich unabhängig von ihrem Willen regte, wie es sie überschwemmte, ein Teil von ihr war — , und keines dieser Gefühle hatte ihr Angst gemacht. Sie kannte die Launen ihrer eigenen sexuellen Natur; sie wußte, es war absurd, anzunehmen, daß sich Begehren und Begehrtwerden verflüchtigen, sobald sie einen Ring am Finger trug — und dennoch war genau dies geschehen.
Es ist eine Sache, sage ich zu June, sich bewußt für sexuelle Ausschließlichkeit zu entscheiden, sich als off limits zu erklären — das ist eine Entscheidung, die sowohl Männer als auch Frauen häufig treffen, wenn sie heiraten. Etwas anderes ist es, wenn man sich unbewußt aus dem Verkehr gezogen hat — seine sexuellen Gefühle unterdrückte, sie nicht ins Bewußtsein dringen ließ, als ob sexuelle Ausschließlichkeit keine Entscheidung
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