Die heimliche Lust
wäre, sondern eine unumstößliche Tatsache, eine vom Körper erlassene Verordnung: Jetzt fällst du niemandem mehr auf Jetzt fühlst du nichts mehr.
Ja, sagt June, das habe sie sich auch gefragt, habe sich gefragt, ob sie denn nicht verheiratet sein, aber dennoch dieses schöne, beflügelnde Gefühl behalten könnte, das sie im Umgang mit Männern immer gehabt hatte. Warum hatte die Eheschließung dieses Gefühl abgewürgt? Warum fühlte sie sich jetzt, da sie »erlaubten« Sex hatte, irgendwie unsichtbar, so, wie sich Sarah fühlte, wenn ihr früherer Freund sie »auch nach ihrer Hochzeit« noch anrief?
Warum ging diese profunde Kenntnis von sich selbst und ihrem Körper, ihr Verständnis für Sex und Beziehungen, erworben in jahrelangem Kontakt mit ihrem Körper und mit Männern, erworben durch viele erotische Erfahrungen, plötzlich in den Untergrund? Wie konnte dies alles aus dem Bewußtsein verschwinden — in der Sprache der Psychologie: abgespalten oder verdrängt werden, jedenfalls nicht länger verfügbar, nicht länger ihr eigen sein? Was konnte so mächtig sein, daß es eine moderne, erfahrene junge Frau veranlaßte, ihre eigenen lustvollen Gefühle auf diese Weise zu verleugnen? Und warum sollte die Ehe, der Ort, von dem sie glaubte, hier würde ihre Sexualität zu Hause sein, genau der Ort werden, wo sie sie »nicht länger als mein eigen« empfand?
3. Die vorbildliche Ehefrau
Die Augen der anderen sind unser Gefängnis; ihre Gedanken unser Käfig.
Virginia Woolf, »An Unwritten Novel«
aus A Haunted House and Other Short Stories (1944)
Wenn man es sich recht überlegt, ist der Preis, die eigene »wahre« Persönlichkeit aufzugeben, gering angesichts des Reichtums, »fortan glücklich« mit dem richtigen Mann zusammenzuleben!
Lynda Barry, Karikaturistin
Was ist das, die Ehe? frage ich jede der Frauen. Sie lachen. Ihre Reaktionen sind bemerkenswert ähnlich: Ein Mann und eine Frau, die sich lieben. Vertrautheit. Ewiges Glück. Dieses Bild ewiger Seligkeit ist heute dasselbe wie gestern, trotz der sexuellen Revolution, trotz Scheidungsstatistiken und höherer Lebenserwartung, trotz ihrer eigenen selbstkritischen Witze darüber, wie naiv diese Vorstellung sei — und trotz des ernüchternden Befunds jener Langzeitstudie, die zu dem grimmigen Schluß kommt, die Ehe sei in den USA eine »geschwächte und im Rückgang begriffene Institution«, weil »die Frauen immer weniger davon haben«. Die emotionale Reaktion der Frauen auf diesen Begriff »Ehe« wurde vor langer Zeit fixiert, als Frauen lernten, die Ehe zu idealisieren, ihr »ideale Eigenschaften und Vorzüge zuzuschreiben«; die Ehe hat zu lange ewiges Glück versprochen, als daß die Realität diesem Bild viel anhaben könnte.
Als nächstes frage ich, wie lang sie zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit verheiratet zu bleiben erwarteten. Jede Frau antwortet: »Für immer .« Die Soziologin Annette Lawson fragte ihre Studentinnen in Berkeley: »Wie viele von euch haben vor, zu heiraten ?« Alle hoben die Hände. »Wie viele von euch rechnen damit, geschieden zu werden ?« Sehr wenige Hände. »Sie kennen die Zahlen«, kommentiert Lawson, »aber ihnen wird das nicht passieren ?« Meine Frauen wissen ebenso wie diese Studentinnen, daß aus dem ursprünglich unabänderlichen Ehevertrag, der Verpflichtung auf Lebenszeit, eine Verpflichtung geworden ist, die von der Qualität der Beziehung abhängt — der Inbegriff eines labilen Zustands. Wenn einer der Partner zu dem Schluß kommt, die Qualität habe hinreichend nachgelassen, dann hat er gute Chancen, daß das Gericht die Ehe beendet. Dieser Umstand allein hatte für die Lebensdauer der Ehe gravierende Folgen: Er änderte die Bedeutung von »für immer« um in »für eine Weile«; er machte die Dauer der Ehe von unserer Laune abhängig. Dennoch hält sich der Traum vom ewigen Glück nach der Hochzeit, den Frauen immer gehegt haben, so hartnäckig, daß Lawson, die ihn »den Mythos der romantischen Ehe« nennt, feststellt: »Romantische Liebe ist zur begehrtesten Lebenserfahrung geworden, zur Phantasie der westlichen Welt«, die »speziell für Frauen bedeutet, eine gute und vollständige Person, ja eine Heldin zu werden«.
Jede der Frauen, mit denen ich sprach, hatte von dem Augenblick an, in dem das Wort »Heirat« in der Luft lag, das Ziel angestrebt, diese gute und vollständige Person zu werden. Sie begannen ihr nachzueifern, oder zumindest ihrer Vorstellung von ihr. Ihr Bild dieser vorbildlichen
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