Die heimliche Lust
Sie werden das nicht glauben, aber ich denke, es war im Bett so, wie ich es wollte. Denn ich wußte ja, was all diese sexuelle Wildheit bedeutete, nämlich Kontrollverlust. Und sie bedeutete Auseinandergehen. Sie bedeutete etwas Vorübergehendes, und ich dachte in einer perversen Weise: Wenn ich jemand heirate, der nicht wild im Bett ist, dann werden wir nicht bis an die Grenze gehen — wir werden es nicht immer toller treiben. Und deshalb wird es nicht vorübergehend sein. Ich wollte nicht, daß Sex eine Hauptsache in der Ehe ist, denn ich fürchtete mich irgendwie davor, was das bedeuten könnte, wenn es eine Hauptsache wäre. Ich dachte, wenn Sex einen geringeren Stellenwert hat, dann wird mein Leben... normaler sein. Eine traditionelle Ehe, wie Eltern sie haben, wo Sex keine große Affäre ist, das sei die richtige Form von Ehe, dachte ich, und auf diese Weise bleibt man zusammen! Denn wie kann man zusammenbleiben, wenn man sich gegenseitig um den Verstand vögelt — ich meine, wie lang konnte das dauern? Wie lang hatte es bei uns allen gedauert — eine Nacht, zwei, drei Wochen? Wenn ich jemand heiratete, der nicht sexbesessen war, dann war ich gerettet. Er würde mein Partner sein, er würde mir treu sein.
DH: Und Sie ihm auch?
CC: Ja.
DH: Aber Ihr Modell war doch ursprünglich ganz entschieden nicht das Ihrer Eltern; wie kam es, daß Sie wieder auf deren Gleise einschwenkten?
CC: Heiraten war nicht dasselbe wie die Experimentierphase. Heiraten war etwas anderes. Hier ging es um Monogamie und um Zusammenbleiben.
DH: War Monogamie wichtig für Sie als moralisches Ideal, oder verknüpfen Sie sie einfach automatisch mit der Ehe?
CC: Beides. Ich glaube nicht, daß ich viel darüber nachgedacht habe, ob sie wichtig für mich war, aber sie war es, und sie gehörte irgendwie dazu. Es war eigentlich kein moralisches Ideal, bloß ein Ideal. Verheiratet zu sein bedeutete, treu zu sein.
DH: Warum ist es nicht darum gegangen, den ganzen sexuellen Verhaltenskodex über Bord zu werfen?
CC: Nicht, sobald man heiratete. Das war natürlich ein ungeschriebenes Gesetz; niemand hat es je ausgesprochen. Aber irgendwo in weiter Ferne erreichte man, sobald man heiratete, diesen mythischen Ort.
DH: Wo alle treu und alle sexuell glücklich sind, und wo Sie sich geborgen fühlen?
CC: Ja. Wir versuchten nicht, dieses Skript zu ändern, weil es so weit weg war und soviel versprach; es war etwas, das man in ferner Zukunft tun würde, wenn man sein Leben bereits gelebt hatte. Obwohl das, wenn man es sich recht überlegt, ein ziemlicher Quatsch ist. Mit 22 hat man sein Leben noch nicht wirklich gelebt. Nach jahrelangem Herumschlafen und Herumspielen und Sichverlieben in jeden, den man wollte, wird man nicht plötzlich imstande sein, eine echte Beziehung aufzubauen. Eine einzige echte Beziehung.
DH: Aber Sie haben doch vorhin gesagt, daß Sie echte Beziehungen erlebten, sobald Sie von Ihrem früheren Sexmodell abrückten — das die Experten als das »männliche Modell« bezeichnen, weil es unverbindlichen Sex und eine Vielzahl von Partnern betont — und anfingen, eingreifendere, längerfristige Beziehungen mit Männern zu haben. Dies waren die wirklichen Beziehungen, während diese Chimäre, die eintreten würde, wenn Sie Ihr Leben bereits gelebt hätten, wie Sie es ausdrückten, de facto nicht wirklich war. Wie kann die Phantasie diesen Purzelbaum schlagen, so daß das Wirkliche unbefriedigend wird und das, was idealisiert wird, faktisch nicht wirklich ist?
CC: Wenn man etwas als das Ziel ansieht und es sein ganzes Leben lang so gesehen hat, dann hat dieses Ziel wahrscheinlich den größten Wirklichkeitsgehalt.
DH: Aber Ihr voreheliches Ziel war, sich mit Männern zu vergnügen, und jetzt erklären Sie, für Ihr eheliches Ziel spielte dieses Vergnügen praktisch keine Rolle. Was ich herausbekommen möchte, ist, wie es geschehen konnte, daß Sie — eine Frau, die ein Leben führte, das auf Ihren eigenen Lustgewinn ausgerichtet war — diesem Leben und dieser Orientierung plötzlich so geringen Wert beimaßen, als Sie einen Ehemann wählten. Warum wurde das, was so wirklich war, so unwichtig?
CC: Wahrscheinlich dachte ich einfach, daß die Ehe die wirklichste Beziehung meines Lebens sein würde.
DH: Und Sie dachten niemals, hm, ich hatte hundert Männer in zehn Jahren — zehn Männer im Jahr — das ist für mich wirklich. Was wird es für mich bedeuten, was wird es mir abverlangen, diese Wirklichkeit gegen das andere
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