Die heimliche Lust
1970 und 1980 keine Regeln gab außer der, daß man, wenn man eine Regel entdeckte, sie brechen mußte. Die einzige Sünde war, etwas nicht ausprobieren zu wollen.
»Es gehörte einfach zur College-Erfahrung, alles in Spalte A, Spalte B und Spalte C abzuhaken«, meint Connie. »Wie es Jimi Hendrix in den Sechzigern herausplärrte: Are you experienced? Das war die Frage, die wir einander stellten. Die Antwort mußte >Ja< lauten. Wenn sie >Nein< hieß, dann war man das Schlimmste, was man sein konnte: ein braves Mädchen.
Meine Mutter — der Inbegriff des braven Mädchens — wurde in dem Glauben erzogen, ihr würde etwas Schreckliches zustoßen, wenn sie gegen die Regeln verstoßen und zum Beispiel vor der Hochzeit mit jemandem schlafen würde. Und sie hatte recht; so wäre es gekommen .«
Connie brauchte sich dagegen schon einmal keine Sorgen zu machen, daß sie schwanger werden könnte; sie brauchte sich nicht einmal Sorgen zu machen, wenn sie schwanger wurde. Das war, bevor irgend jemand etwas über Aids gehört hatte. Soviel sie wußten, gab es keine Geschlechtskrankheit, die nicht heilbar gewesen wäre, und kein ungewolltes Kind brauchte geboren zu werden. Nichts Schlimmes konnte passieren; nichts Unwiderrufliches. Man konnte sich mit Sex weder die Gesundheit noch das Leben ruinieren.
1982, als sie siebenundzwanzig war, heiratete sie den sehr großen, sehr gutaussehenden blonden Martin, einunddreißig Jahre alt, Architekt wie sie und ihr Bürokollege in New York City. Sie galten als ein ideales Paar: sie — mit einsachtzig fast so groß wie er und mit großen, kornblumenblauen Augen, genau wie er — hätte seine Schwester sein können. Ich lernte Connie acht Jahre später kennen, als wir zufällig im Flugzeug nebeneinander saßen und nach einem dreistündigen Gespräch übereinkamen, es in der folgenden Woche auf der Erde fortzusetzen. Sie sagte, sie sei bereit, mit mir über ihre Gefühle in bezug auf ihre Ehe und ihre seit zwei Jahren bestehende Affäre zu sprechen. Das folgende Interview fand im Sommer 1989 in meiner New Yorker Wohnung statt.
DH: Worum ging es Ihnen und Ihren Freundinnen beim Sammeln Ihrer umfangreichen sexuellen Erfahrungen in der High School und im College?
CC: Ich denke, ich habe mir einfach weismachen lassen, daß Sex eine kreative Sache sei. Eine Begabung wie, ich weiß nicht, malen oder schreiben. Man entwickelt seine Begabung, das ist alles. Man läßt sie nicht brachliegen — das haben unsere Eltern getan. Man entwickelt sie, und sie wird immer besser. Das redeten wir uns ein. £s würde zu etwas führen.
DH: Zu was?
CC: Ich bin nicht sicher.
DH: Zu einem idealen, sexuell ebenso erfahrenen Partner?
CC: Nicht eigentlich. Ich glaube nicht, daß es mir vor allem darum ging, durch Sex einen bestimmten Mann zu finden, als vielmehr, mich selbst zu finden. Sex würde mir in ungeahnter Weise die Augen über mich selbst öffnen, und dieses Verständnis würde mir helfen, wirklich zu leben. Meine Mutter war für mich eine Person, die ihr Leben verschlafen hatte, nicht wirklich gelebt hatte. Das glaube ich übrigens noch immer. Ich würde mir nicht wünschen, nur einen Mann gekannt zu haben. Stellen Sie sich vor: Wie könnte man durchs Leben gehen und nur einen Mann kennen oder nur eine Art von Sex oder den Körper eines einzigen Menschen?
DG: Wozu sollte dieses Verständnis seiner selbst, dieses Gefühl, wach und nicht verschlafen zu sein, führen?
CC: Es sollte zu Glück führen. Vor allem anderen hatten wir das Recht auf Glück. Und sexuelles Glück — etwas, von dem wir wußten, daß Frauen es in der Vergangenheit nicht gehabt hatten — war unser Barometer dafür. Lustgewinn war das uns von Gott geschenkte Recht. Alles andere konnte man allein tun. Man konnte in die Welt hinausgehen und Geld verdienen, eine Karriere machen, selbständig sein. Aber man konnte nicht allein sexuell glücklich sein. Nicht wirklich. Gut, man konnte masturbieren, aber mir war es sehr wichtig, mit einem Mann in sexuellen Kontakt zu kommen. Deshalb ging es uns vor allem darum, daß ein Mann gut im Bett ist, in dem Sinn, daß er verständnisvoll und liebesfähig und selbst erfahren ist, und daß es ihm wichtig ist, uns glücklich zu machen.
DH: Haben Sie solche Männer gefunden?
CC: Klar! Rückblickend war es gar nicht so schwierig, da wir selten mehr als ein- oder zweimal mit einem Mann zusammen waren. Auf diese Weise kam unsere Bindungsangst gar nicht zum Zuge.
DH: Haben Sie sich auch
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