Die heimliche Päpstin
Rom. Als sie unangekündigt und daher überraschend in unserem Palast auftauchten, gaben sich Marozia und Angelo gerade wieder dem Flötenspiel hin, während ich im Garten saß – in einer Stimmung, die mich regelmäßig zu abendlicher Stunde überfiel. Ich hatte mir angewöhnt, in der blauen Stunde, bevor das Licht von der Dunkelheit aufgesogen wird, um die Verlorenen zu trauern. Immer wieder sah ich Martinus in seinem Blut liegen und einen letzten Blick gen Himmel richten, in einen weißbewölkten Himmel, der sich langsam rot färbte. Ich hörte ihn ›Aglaia‹ flüstern, beugte mich über ihn und küßte seine sich schließenden Augen. Und dann tauchte ein junger Mann auf, der seinem Pferd die Sporen gab, um zu Hilfe zu eilen. Die Mähne des Pferdes flog wie eine Fahne im Wind, die Hufe trommelten im gestreckten Galopp über den Boden – doch die Hilfe kam zu spät. Martinus starb in meinen Armen, ich begrub ihn am Wegrand und wanderte dann, begleitet von meinem Sohn, in die staubige Ferne, um in einer schmerzfreien Zukunft die strahlende Heimat jenseits der Berge, jenseits der Meere zu erreichen …
Lautes Pferdewiehern und rufende Männerstimmen unterbrachen die Trauerstunde. Aufgeschreckt und zugleich neugierig eilte ich in den Palast, in dessen Atrium ich einen Stapel blutiger Wolfsfelle entdeckte und verdreckte Jagdhelfer, die nach Wein schrien.
Als erster bemerkte mich Alberico, der, laut meinen Namen rufend, herbeistürmte, seinen vor Wiedersehensfreude umhertaumelnden Spielhund an der Seite, mich umarmte, um mir dann mit vor Begeisterung glänzenden Augen und hektischer Stimme von den Abenteuern der Wolfsjagd zu erzählen. »Sieben Tiere haben wir erlegt, aber Papa hat sich verletzt. Eine Wölfin ist aus dem Hinterhalt auf ihn gesprungen, als er ihre Welpen abstach. Wir waren so erschrocken, daß sie entkommen ist. Nicht einmal die Hunde konnten sie stellen. Sie verschwand einfach vom Erdboden, wie verhext.«
Ich schaute mich unruhig um, ob ich Alberich entdecken konnte. In diesem Moment trat er mit seinem jungen Freund aus dem Halbdunkel der Arkaden, Berta auf dem rechten Arm, während der linke verbunden war. Giovanni, der neben ihm ging, schaute bewundernd zu ihm empor, und Alberich legte ihm väterlich seinen Arm auf die Schultern, was ihm wegen der Verletzung offenkundig Schmerzen bereitete. Da war auch der schöne Markgraf Wido. Er schaute unsere kleine Berta freundlich an, die verschämt zurücklächelte.
Wido hatte sich seit unserer letzten Begegnung wenig verändert: Er trug die Haare gestutzt, war bartlos. Die paar Kratzer, die er offensichtlich während der Jagd davongetragen hatte, taten seiner vom Alter kaum berührten Schönheit keinen Abbruch. Er war wirklich ein einnehmender Mann mit seinen weiten, hellen Augen, seinen langen, nahezu weiblichen Wimpern, und sein offener, vertrauenswürdiger Blick sowie sein argloses Lächeln erweckten spontane Zuneigung.
Mit lautem Hallo wurde ich begrüßt, und schon berichtete auch Alberich von den Abenteuern der Jagd. »Obwohl der alte Leitwolf direkt auf ihn zurannte, hat Alberico kaltblütig gewartet und ihm dann den Jagdspieß mit einem tödlichen Stoß in den Rachen gerammt.« Alberich wies auf seinen Sohn, der sich stolz reckte. »Er ist nun endgültig zum Mann geworden, mutig und besonnen zugleich!«
»Ganz der Vater!« rief Wido, und beide Männer lachten so herzhaft-stolz, daß ich mitlachen mußte und den groß gewordenen Alberico an meine Brust drückte. Ich mußte auch deshalb lachen, weil der Junge seinem Vater so ähnlich sah, als wäre er eine jüngere Ausgabe von ihm. Lediglich in der Haarfarbe unterschieden sich die beiden: Vater Alberichs ehemals blonde Mähne war zwar noch immer dicht, doch ergraut, während Albericos Mähne in goldenen Tönen schimmerte.
»Und du bist der zukünftige Papst?« fragte Wido unseren Giovanni, der verschämt grinste. »Ich habe schon viel von dir gehört: Du bist der Liebling deiner Mutter und bereits in jungen Jahren Diaconus.«
Alberich gab Giovanni einen auffordernden Stoß unter Männern.
Giovanni verbeugte sich linkisch in seinem hochgeschlossenen Priestergewand und mußte sich nun auch von seinem Bruder puffen lassen, was er geschmerzt über sich ergehen ließ.
»Nicht gleich wieder Streit, ihr Jungen!« ermahnte sie Alberich und setzte Berta ab, die sich liebebedürftig an ihn drückte.
Der Hund hatte mehrfach den lange vermißten Alberich angebellt, um seine Aufmerksamkeit zu
Weitere Kostenlose Bücher