Die heimliche Päpstin
Ableben einen Boten geschickt und ihn gebeten, nach Rom zu eilen und ihr in dieser schweren Stunde beizustehen. Doch Wido war geschickt genug, nicht vor der Beisetzung zu erscheinen. Wahrscheinlich wäre es ihm bei der Kürze der Zeit auch nicht möglich gewesen. Ich glaube aber, er wollte all den umlaufenden Gerüchten keine zusätzliche Nahrung geben.
Es ist schwer zu sagen, wer bei den folgenden Verwicklungen der Treibende oder der Getriebene war, wer die Fäden zog und wer sich in ihnen verstrickte oder gar durch sie gefesselt wurde.
Ich benutze das blutleere Wort Verwicklungen und sehe doch ein blutiges Drama vor mir ablaufen, bei dem die Widersacher kein Gefühl für das Angemessene zeigten und kein Maß mehr halten konnten, Tugenden, die uns die griechischen und römischen Philosophen so eindringlich predigten und einprägten. Auch die christlichen Tugenden wurden mit Füßen getreten. Bestraft wurden letztlich alle: Wer triumphierte, mußte stürzen; wer darniederlag, durfte siegen. Und wer zum Schluß noch Haupt und Glieder erheben konnte, um sich auf den Thron zu schleppen, wurde nach einer so hochmütigen Dummheit herabgestoßen, daß das Erhabene dieser Tragödie im Lächerlichen einer Groteske unterging.
Bei dem feierlichen Mahl, das sich an die Beisetzung anschloß, ging es vorerst sehr gedämpft zu. Alberico hatte sich gefangen, saß stumm zur Linken seiner Mutter, die, ungebeugt in ihrer weiblichen Fülle, die Haare sorgsam gekämmt, geflochten und mit einem Seidenschleier bedeckt hatte. Zwei goldene Schmetterlingsgehänge mit mattglänzender Perle zierten ihre Ohren. Auf ihrer hochgeschlossenen Brust lag ein in Gold gefaßter Edelsteinschmuck, und an den Handgelenken berührten sich Armbänder mit weichen Klängen. Wie meist hatte sie sich intensiv schminken lassen. Da ich mich um die Kinder gekümmert hatte, war ich überrascht, als sie in der augenumrandeten Weise der Kleopatra erschien – wie einst ihre Mutter.
Neben Alberico hatten seine Tante Theodora und deren Gatte Crescentius mit den drei hübschen Grazien Platz genommen, dann folgte ich mit Berta. Neben unserer jungen Tochter saßen Aaron und sein Enkel Jakob, der seinen Großvater, unterdessen ein kahlköpfiger Abraham mit langem, schlohweißem Bart, zum Sitz geleitet hatte und ihm auch Speis und Trank reichen mußte, weil dieser kaum noch etwas sah.
Rechts neben Marozia hockte ihr Lieblingssohn Giovanni. Sie hatte versucht, den Heiligen Vater direkt anschließen zu lassen und zwischen ihn und Pietro unseren Konstantin, den zweiten der Kirche geweihten Sohn, zu plazieren – um zu verhindern, daß die beiden sich womöglich besprachen oder, ganz allgemein, eine Einheit bildeten. Dies war ihr jedoch nicht gelungen. Papst Johannes bestand darauf, daß die beiden Brüder neben ihrer Mutter saßen und Pietro ihm zur Seite. Die restlichen Würdenträger der Kurie, Kardinäle und Bischöfe, Adelsvertreter aus der Via Lata und diverse Grafen füllten die restlichen Plätze unserer Tafel und weitere Tische.
Während die Gerichte gereicht und verspeist wurden, kam ein Gespräch, das sich an einer der drängenden politischen Fragen festhakte, nicht auf. Dies änderte sich nach Ende der Fleisch- und Fischgänge: Die Gäste hatten nun dem Wein kräftig zugesprochen und delektierten sich an den Süßspeisen.
Marozia, in statuarischer Schönheit am Tisch thronend, wandte sich an den Heiligen Vater und sprach Alberichs Nachfolge für Spoleto an. Nach kurzer Einleitung konstatierte sie: Daß Alberico als Sohn seines Vaters die Markgrafschaft von Spoleto und Camerino übernehme, dazu den Titel magister militum, verstehe sich von selbst, bedürfe allein der formalen Bestätigung durch die päpstliche Kanzlei. Obwohl sie nicht sehr laut gesprochen hatte, hatte offensichtlich die gesamte Tafel sie verstanden, und es kehrte unverzüglich Stille ein. Im Ton einer königlichen Verkündigung fuhr sie fort: »Da unser Sohn Alberico erst in einem Jahr mündig wird, werde ich so lange die Vormundschaft übernehmen und damit die Herrschaft in Spoleto.«
Ich bin mir nicht sicher, ob sich Marozia wirklich als faktische Herrscherin Roms und der Markgrafschaft Spoleto fühlte und daher glaubte, ihre Vorstellungen diktieren zu können, oder ob sie durch ihre Äußerung diesen Anspruch anmelden wollte. Immerhin war sie eng mit dem reichen Tuszien liiert, wie jeder wußte.
Der Papst und sein angeblicher Bruder warfen sich einen kurzen Blick des Einverständnisses
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