Die heimliche Päpstin
Nach einer Weile begann die Wunde zu stinken, so daß er sich in einen Seitentrakt des Palasts zurückzog. Außer mir pflegte ihn Wido, der an manchen Tagen nicht von seiner Seite weichen wollte. Worüber die beiden sprachen, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich weiß, daß sie lange und intensiv miteinander sprachen. Auch Alberico saß häufig am Bett seines Vaters, und anschließend begegnete er seiner Familie, sogar mir, verschlossen und verängstigt, dann wiederum trotzig und wütend.
Ich schrieb von einem Ehebruch-Spiel, doch sollte ich meine Worte korrigieren. Es handelte sich um keine Tändelei, Marozia wurde von einer verschlingenden Liebe ergriffen, und ich glaube, daß sie, von Alexandros abgesehen, keinem Mann so zugetan war wie Wido. Daß dabei die geschlechtliche Erregung eine wichtige Rolle spielte, darüber hinaus Widos charmante Jugend, sein Reichtum und die Erkenntnis, er könne einmal der mächtigste Mann Italiens werden, spricht nicht gegen die Echtheit ihrer Liebe, die rasch auch Wido erfaßte.
Die beiden verhielten sich diskreter, als Theodora und Papst Johannes es getan hatten. Keine Lustschreie drangen durch Türen und Wände; nie sah man sie in verfänglichen Umarmungen oder gar in Küsse versunken. Ganz gegen ihr sonstiges Verhalten weihte mich Marozia nicht in ihre Gefühlsstürme ein und berichtete nichts über die Nächte mit Wido. Dies tat sie erst viel später.
Den ersten Schock traf die ganze familia, als Angelo mit abgeschnittener Männlichkeit und einem Dolch in der Brust im hinteren Teil unseres Parks aufgefunden wurde. Wido weilte noch als Gast im Palast, und ich, die ich als procuratrix geglaubt hatte, ein besonders gutes und offenes Verhältnis mit der Dienerschaft und den Sklaven zu pflegen, hatte zuvor keine Hinweise und Warnungen erhalten und stand auch nach der Entdeckung des Toten vor einem Rätsel. Natürlich schwirrten Gerüchte durch den Palast wie Fledermäuse auf der Suche nach Beute, böse Gerüchte, die sich an Marozia und Wido festklammerten, dann Alberich streiften, sich in der Küche niederließen und schließlich den Pferdestall aufsuchten.
Wir ließen Angelo ordentlich beisetzen und spendeten seiner sündigen, ohne die Segnungen der Kirche dahingegangenen Seele eine bedeutende Zahl an Fürbitten. Die Unruhe in der familia blieb jedoch, und wie ich kurz darauf während meiner regelmäßigen Besuche bei dem mittlerweile halbblinden Aaron erfuhr, hatten die Gerüchte Volk, Adel und Kurie erfaßt. Das Volk malte sich altrömische Orgien in unserem Palast aus, die Adelsfamilien schienen an der Führungsrolle des Hauses Theophylactus zu zweifeln, und von Papst Johannes hörte man bezeichnenderweise gar nichts. In der Kurie schien sich etwas vorzubereiten, was die problematisch gewordene Allianz zwischen dem Sitz Petri und unserem Haus in Frage stellte. Dies vermutete ich zumindest, und Aaron wollte mir nicht widersprechen.
Marozias Schwager Crescentius, unser viceclominus , erschien nur noch zu rein geschäftlichen Unterredungen und vermied dabei ostentativ das Thema Angelo. Seine Gemahlin Theodora ließ sich mit ihren Töchtern überhaupt nicht mehr blicken, ließ sich sogar verleugnen, als Marozia ihr einen Besuch am Kapitol abstatten wollte.
Alberich spürte trotz seines Fiebers und des stinkenden Arms, daß etwas geschehen müsse. Er erhob sich von seinem Krankenbett, grau und eingefallen, und wollte die Untersuchung des Mordes selbst in die Hand nehmen. Mit jedem einzelnen Mitglied der familia beabsichtigte er zu sprechen; keiner dürfe vor den Verhören den Palast verlassen, ordnete er an. Mich bat er, seine Verhöre zu protokollieren und ihn bei der Suche nach dem Mörder zu unterstützen.
»Bist du sicher, Alberich«, fragte ich ihn, »daß du nicht lieber die Sache auf sich beruhen lassen solltest? Angelo wird nicht wieder ins Leben zurückgerufen, für das Heil seiner Seele haben wir einiges getan …«
»Ich will die Wahrheit herausfinden«, unterbrach er mich. »Unser Haus ist eine Mördergrube – und auf mir bleibt der Mordverdacht hängen, wenn ich nichts unternehme. Das weißt du genau. Ich habe Angelo aber nicht ermorden lassen, ich wußte nicht einmal Genaues über ihn, weiß noch immer kaum etwas.«
Er tat mir leid, so abgemagert und knochig, wie er aussah, so verzweifelt über den Ehrverlust, den seine ganze Haltung ausdrückte. Und doch war seine Nähe wegen des Gestanks der schwärenden Wunde nur schwer auszuhalten.
»Die Wahrheit!«
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