Die heimliche Päpstin
nichts mehr.
Als sich Abt Odo schließlich verabschiedete, sagte Alberico noch: »Ich werde meinen Bruder anweisen, Euren Vorstellungen, verehrter Vater, in allem zu entsprechen. Rom muß wieder der Fixstern am Firmament des christlichen Glaubens werden.«
Kaum waren wir allein, bat er mich, auf einer der Liegen Platz zu nehmen. Er ließ sich mir gegenüber nieder und schaute mich lange an. »Du siehst erbärmlich aus. Ein Bad wird dir guttun, ein Schluck Wein und eine ausgewählte Speise, Lamm in Milch vielleicht, mit Knoblauch gespickt, Safran dazu …«
»Wann darf ich meinen Sohn in die Arme schließen?«
»Morgen früh. Du sollst dich erst ausruhen und ein wenig pflegen. Entschuldige, daß ich dich so lange warten ließ, aber ich mußte während der letzten Wochen einige meiner Gegner aus der Stadt entfernen …«
»Dann wirst du deine Mutter freilassen?« unterbrach ich ihn voll aufschießender Freude.
Alberico hob abwehrend die Hand.
»Sie hat genug gelitten und wird die Einsamkeit im Kerker nicht lange überleben! Alberico« – ich kniete vor ihm, flehte ihn an – »versündige dich nicht länger …«
Ich weiß, ich hätte dies nicht sagen dürfen. Alberico versteifte sich sofort, erhob sich, wanderte unruhig im Raum auf und ab. »Ihr habt meinen Vater alle unterschätzt und in mir einen dummen Jungen gesehen, der sich alles gefallen läßt. Meine Mutter hat zugelassen, daß mir die Herrschaft über Spoleto vorenthalten wurde, und ich sollte aus Rom vertrieben werden.«
»Das hätte sie nie getan.«
»Nein? Aber zugelassen!«
»Ach, Alberico!«
»Ja?«
Ich wußte nichts mehr zu sagen.
War er wirklich so unversöhnlich, wie er schien?
Er ließ mir ein wunderbares Bad bereiten, auf meinen Wunsch hin lediglich ein kleines, bescheidenes Mahl vorsetzen und mich dann allein durch Garten und Park wandeln, bis der Abend sich herabsenkte und die Spitzen der Zypressen im dunklen Gold der untergehenden Sonne erstrahlten. Ich hatte Alberico gebeten, hinab in die Krypta steigen zu dürfen, wo sich das Kreuz des Belisar befand, doch er hatte nur knapp den Kopf geschüttelt. Jetzt entdeckte ich im Park eine Zypressenreihe, deren Ende wie eine Apsis gestaltet war. Hier erhoben sich drei abgebrochene Marmorsäulen wie die Reste eines zerstörten Tempels. Vor ihnen lag eine Marmorplatte, in die gemeißelt war: Vestigia terrent .
Noch jetzt, während ich am Pult stehe und den nächtlichen Trostgesang bis in meine tiefste Seele dringen lasse, denke ich über diese Worte nach: Wessen Spuren waren es, die abschrecken sollen?
54
Die Nacht schreitet fort, an Schlaf ist nicht zu denken. Die würzige, duftende Kühle des Parks einzuatmen ist ein Labsal, für das ich keine Worte finde. Philomeles süßer Gesang ist verstummt, dafür rufen die Käuzchen, als wollten sie mich an die Toten erinnern, die ich bislang auf meinem Lebensweg zurücklassen mußte.
Sie erinnern mich an Alberichs Tod und an die Nacht, die dem haßgesättigten Beisetzungsmahl folgte, und drängen mich, die schlaflosen Stunden zu füllen mit der Schilderung der letzten Szenen der Tragödie, die mit unerbittlicher Zwangsläufigkeit auf das bittere Ende zudrängte.
Während dieser Nacht mußte ich mir zuerst Marozias Racheschwüre anhören, die schließlich in Krügen roten Weins ertranken. Als sie nur noch lallte, ließ ich sie von ihren Kammerfrauen zu Bett bringen und schaute nach den Kindern, von denen ich annahm, daß sie verstört sein mußten. Berta hatte sich in den Schlaf geweint, so hörte ich. Giovanni, unser Diaconus, hockte auf seinem Bett und schaute kaum auf, als ich mich zu ihm setzte. Ich hörte ihn leise den 119. Psalm vor sich hin murmeln, und dabei stieß er wie die Juden seinen Kopf nickend vor.
»Wie wird ein Jüngling seinen Weg unsträflich gehen? Wenn er sich hält nach deinen Worten.«
»Giovanni!« sagte ich leise. »Hörst du mich?«
Er reagierte nicht und murmelte weiter: »Ich suche dich von ganzem Herzen; laß mich nicht abirren von deinen Geboten. Meine Seele ist zermalmt, meine Seele liegt im Staube, ich gräme mich, daß mir das Herz verschmachtet; stärke mich nach deinem Wort.«
»Giovanni!« rief ich erneut an. »Hörst du mich? Du wirst in Zukunft viel Kraft brauchen. Vertraue deiner Mutter.«
Für einen Augenblick schien er aufzuhorchen und warf mir einen zweifelnden und zugleich verzweifelten Blick zu, bevor er weitersprach und dabei seinen Kopf noch stärker nicken ließ.
Seufzend erhob ich
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