Die heimliche Päpstin
mich und ließ ihn allein. Alberico fand ich nicht in seinem Zimmer, doch meinte ich draußen im Garten seine Silhouette gesehen zu haben. Ich eilte ihm nach, rief leise seinen Namen.
Er floh.
»Alberico! Warte auf mich!«
In der Tiefe des Parks hatte ich ihn eingeholt, und wenn ich mich nicht irre, genau an der Stelle, die jetzt die drei abgebrochenen Säulen zieren. Er hatte sich auf den Boden niedergelassen, bewegungslos, in der Dunkelheit kaum zu erkennen.
»Warum läufst du vor mir weg?«
Keine Antwort.
»Warum, Alberico? Glaubst du nicht, daß wir zusammenhalten müssen?«
»Ich hätte ihn erwürgen können«, sagte stimmlos sein Schatten, »und ich werde ihn erwürgen!«
Ich wollte meine Hand auf seinen Arm oder seine Schulter legen, aber er drehte sich weg.
»Wen? Pietro? Den Papst?«
»Beide. Der eine ist nur der Jagdhund des anderen.«
Was sollte ich darauf sagen? Der Junge hatte recht.
»Sie wollen mir das Erbe meines Vaters nehmen, und meine Mutter hat ihnen nachgegeben. Sie liebt mich nicht, sie hat mich nie geliebt, sie wird mich eines Tages verkaufen.«
»Wie meinst du das?«
»Es geht ihr weder um mich noch um Spoleto. Sie will die Macht in Rom und wird sich jetzt diesem Wido an den Hals werfen, um mit ihm halb Italien zu beherrschen. Sie will Königin werden. Vielleicht sogar Kaiserin. Und Giovanni soll sie krönen. Ich bin nur ein Bauer in diesem Spiel. Das hat mir mein Vater bereits prophezeit.«
Ich war nicht der Überzeugung, daß Marozia Spoleto so einfach hergeben wollte, denn die Markgrafschaft war Teil ihrer Machtbasis. Viel größer war in meinen Augen die Gefahr, daß sie sie Wido übergab. Gegen all ihre Zukunftspläne standen indes der Papst und sein bissiger Handlanger.
»Daß deine Mutter Giovanni dir vorzieht, ist eine Sünde«, sagte ich. »Dennoch liebt sie dich, sie kann es nur nicht richtig zeigen; sie ist stolz auf ihre Kinder.«
»Glaubst du wirklich?« Alberico klang ein wenig erleichtert; und so groß und stark er mittlerweile geworden war, so kindlich war noch seine Seele.
»Stimmt das, daß ich nicht der Sohn meines Vaters bin?«
»Natürlich nicht. Du bist ihm aus dem Gesicht geschnitten, hast seine Stärke und Geradlinigkeit, seine Ehrlichkeit …«
»Er war viel stärker als ich.«
»Du wirst stärker werden.«
»Mama hat einmal gesagt: Du bist schlimmer als dein Vater. Was meinte sie damit?«
Er schaute mich verwundet an. Was sollte ich darauf antworten.
»Papa hat, wenn wir auf der Jagd oder bei Onkel Wido waren, nie schlecht von ihr gesprochen.«
»Das glaube ich.«
Er starrte nachdenklich auf den Boden. »Mama hat gesagt, Giovanni sei der Sohn von Papst Sergius.«
Ich schwieg, weil ich daran denken mußte, daß der Fluch, den dieser Papst über uns gebracht hatte, noch immer seine Wirkung entfaltete.
»Aglaia, stimmt das?«
»Ja, es stimmt.«
»Warum zieht sie ihn dann vor? Er ist doch nur ein Bastard, und ein schlapper dazu. Immer sein Nasenbluten! Fechten kann er auch nicht.«
»Als Seelenhirte braucht er nicht zu fechten.«
»Ich habe ebenfalls die Bibel gelesen und mit meinem Beichtvater darüber gesprochen. Sogar mit Papa und Onkel Wido, abends, am Lagerfeuer, nach der Jagd. Über Jesus und was er gesagt hat, zum Beispiel: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen.«
»Und was hat dein Vater gesagt?«
»Er hat mich mit Onkel Wido ausgelacht.«
»Es gab keinen Grund zu lachen.«
»Jesus hätte sich nicht einfach ans Kreuz nageln lassen dürfen. Ich wäre geflohen und hätte dann gekämpft. Auch Papa hätte gekämpft – gegen die verlogenen Pharisäer.«
»Jesus' Botschaft ist aber, zu lieben, nicht zu kämpfen.« Ich wußte, daß meine Worte in Albericos Ohren hohl klingen mußten. Ihn hatte das Wort lieben jedoch ganz woanders hingeführt.
»Ist Mama eine Hure?« fragte er unvermittelt.
»Glaubst du dieser Verleumdung?«
»Was hat sie mit Angelo gemacht? Warum mußte er sterben?«
Noch bevor ich antworten konnte, schob Alberico eine andere Frage nach: »Hat alles mit Papst Sergius begonnen?«
»Was meinst du mit alles?«
»Ihre Hurerei.«
»Es war keine Hurerei. Sie wurde damals verführt … gezwungen …«
Sollte ich Alberico wirklich berichten, daß seine Mutter sich Papst Sergius nicht ganz freiwillig hingegeben hatte? Sollte ich ihm auch das Bild seiner Großmutter zerstören? Nein! Er würde ohnehin nicht verstehen, was damals geschehen war, ich verstand es zu diesem
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