Die heimliche Päpstin
Konstantinopel zu ziehen. Wieso sie auf meine Heimat kam, weiß ich nicht; ich hatte sie kaum mehr erwähnt.
Schaute ich Berta an, so schwankte ich in meinem Urteil über ihre Zukunft: Ihr unschuldiges und ebenmäßiges Antlitz mochte nicht nur die Liebe des Herrn auf sich ziehen, sondern auch manchen der kraftstrotzenden Jünglinge locken. Doch zugleich war es blaß, und unter Tunika und Stola waren keine üppigen Rundungen zu erkennen, keine kräftigen Hüften und weichen Schwellungen – also nichts, was eine gesunde Mutterschaft versprach.
Neben Berta betete Giovanni ununterbrochen seine Psalmen, während Alberico mit zweifelnden und zugleich hilflosen Augen auf seine eingefallene Mutter schaute. Was geschah, wenn sie starb, mochte er sich fragen. Würde der senile Papst Stephan ihn endlich zum Markgrafen ernennen? Würden ihn die römischen Adelshäupter als einflußreichsten Mann der Stadt anerkennen und wie seinen Großvater zum Konsul wählen? Würde nach Stephans Tod wirklich sein Bruder zum Papst gewählt? All diese Fragen mochten ihn verunsichern, und tatsächlich griff er wieder nach meiner Hand, als müsse er sich Hilfe holen. Als er allerdings Crescentius' spöttischen Blick sah, ließ er sie unverzüglich los.
Auch Marozias Schwester Theodora und ihre Familie hatten sich versammelt. Ihr bereits seit langem schwelender, von Eifersucht geprägter Streit hatte sich vertieft, als Theodora einmal spöttisch auf den Altersunterschied zwischen Marozia und Wido anspielte. Am Ende hatte Theodora damit gedroht, Crescentius würde seinen Einsatz für das wirtschaftliche Wohlergehen des Hauses Theophylactus einstellen, nur noch die eigenen Güter und Betriebe verwalten und die ihm zustehenden Abgaben und Zölle einstreichen. Dann würde Marozia schon sehen, wie es mit ihr bergab gehe. Ihre Schwester lachte sie höhnisch aus.
Jetzt allerdings schien dieser Streit vergessen. Theodora vergoß ungewohnt theatralisch ihre Tränen, während die drei immer hübscher werdenden Grazien wenig Anteilnahme am Leid ihrer Tante zeigten und sich langweilten.
Marozia, im delirium , merkte eine Weile nichts von ihrer Familie. Schließlich, als sich ihre beiden ältesten Söhne, von mir ermuntert, auf den Bettrand setzten und jeder eine Hand der Mutter ergriffen, blinzelte Marozia, ließ ihren Blick von einem zum anderen wandern und lächelte selbstvergessen. Es war ein Lächeln, das aus der Erinnerung glücklicher Zeiten erwuchs und von dort Kraft und Lebenswillen bezog.
Ich ahnte sofort: Jetzt wird sie dem Tod trotzen.
Meine Ahnung trog mich nicht. Marozia überwand das Fieber und wurde wieder gesund. Es dauerte zwar den gesamten Winter, bis sie zu Kräften kam, aber der Frühling 931 – er scheint mir nicht zwei Jahre, sondern Jahrzehnte zurückzuliegen – erlaubte ihr, im Schall der gefiederten Jubilierer auszureiten, zusammen mit Alberico, was mich verstärkt auf mehr Liebe zwischen ihr und ihrem zweiten Sohn hoffen ließ. Auch trauerte sie nur noch im Geheimen: Kam sie auf ihr totes Kind zu sprechen, brach sie nicht mehr in Tränen aus, und erwähnte sie Wido, klang sie sachlich und beherrscht.
Während des Fiebers hatte sie stark abgenommen, so daß sich um ihren Mund eine Reihe harter Falten reihten. Ihr Blick, so schien mir, war kälter geworden. Noch immer eine stattliche Frau, bedurfte sie allerdings vermehrt der Hilfe von Salben und Duftwässern, um ihre Schönheit strahlen zu lassen.
Nach dem Osterfest erkrankte Papst Stephan, und bereits nach wenigen Tagen war jedem in seiner Umgebung klar, daß er sich nicht wieder erheben würde. Als Marozia dies hörte, rief sie Giovanni zu sich und erklärte ihm, seine Stunde sei gekommen. Er sollte sich wappnen, in wenigen Tagen die Mitra des römischen Bischofs und die Tiara des Oberhaupts der Christenheit zu tragen. Fieberhaft bereitete sie die Wahl ihres Sohnes vor. Das Volk und der niedrige Klerus erhielten Geldgeschenke, der höhere Klerus neue Pfründen, der befreundete Adel Domänen aus dem Kirchenbesitz in Tuszien. Als ich sie darauf hinwies, daß Markgraf Lambert darüber kaum begeistert sein dürfte, wischte sie meinen Einwand verärgert zur Seite. »Wer mich machtgierige Schlampe nennt, hat von mir keine freundlichen Gesten zu erwarten.«
Sie hatte also doch verstanden, was Widos Bruder im Zorn herausgerutscht war. Ob ihr späteres Verhalten allerdings auf diese Beleidung zurückzuführen ist, möchte ich bezweifeln.
Kaum waren die Exequien des
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