Die heimliche Päpstin
denken, in der ich mich vor nahezu drei Jahrzehnten mit Martinus vereinte. Jene Nacht und alles, was anschließend geschah, bestärken mich in meinem Entschluß.
Es muß mittlerweile Morgen sein. Ich war nicht mehr in der Lage, weiterzuschreiben, doch auch an Schlaf war nicht zu denken. So starrte ich auf die flackernden Flammen der Kerzen, bis Marozia erwachte und ich ihr verkünden konnte, ich wolle Albericos Angebot annehmen und unseren Kerker verlassen, um auf diese Weise eine letzte Chance zu ergreifen, ihr Leben zu retten. »Und auch, um Alexandros zu sehen, falls er sich noch in Rom aufhält.«
Marozia tat so, als hätte ich ihr soeben guten Morgen gewünscht, und betete das Pater noster. Nach dem Amen und einem tiefen Seufzer sagte sie, wie nebenbei: »Ja, ja.«
Ich wollte zu einer weiteren Erklärung ausholen, hielt sie dann jedoch für unnötig. Nicht noch einmal wollte ich im letzten Augenblick eine Chance ausschlagen.
»Geh nur, ich habe ohnehin mit dem Leben abgeschlossen«, sagte sie, bevor sie das Magnificat vor sich hinzumurmeln begann.
»Du weißt, daß ich dich mehr als jeden anderen in meinem Leben liebe«, erklärte ich in das Gemurmel hinein. Als Antwort erhöhte Marozia die Lautstärke ihrer Stimme: » Deposuit potentes de sede , et exaltavit humiles . ER stößt die Mächtigen vom Throne, die Niedrigen erhöhet ER.«
Ich gab nicht auf: »Marozia, weißt du das?«
» Sicut erat in principio , et nunc , et semper, et in saecula saeculorum . Amen. Wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.«
Sie starrte vor sich hin und sprach kein einziges Wort mehr.
An diesem Tag dauerte es besonders lange, bis Anastasius mit seinen Gesellen auftauchte, und als er die Tür öffnete, wirkte er wortkarg und sorgenschwer. Ich warf noch einmal einen Blick auf Marozia und sagte mit fester Stimme: »Anastasius, richte bitte Princeps Alberich aus, ich hätte es mir anders überlegt und nähme sein Angebot an, mich freizulassen.«
Der alte Fuchs spähte kurz zu mir, dann zu Marozia, bevor er ohne Gemütsregung antwortete: »Das ist sicher nicht dumm.«
Mehr gab es nicht zu sagen. Als er fort war, begann das Warten. Zuerst setzte ich mich vor mein Pergament und wollte die Gründe für meinen Entschluß auflisten, sah aber, daß sie bereits genannt waren. Ich blätterte zurück und fand meinen Eintrag, der ins Jahr 904 nach der Menschwerdung des Herrn führte.
Zu der Nacht, in der ich zu Martinus flüchtete, weil ich mit ihm fliehen wollte.
Ich hatte mich neben ihn gelegt und ihm versprochen, mit ihm nach Lucca zu gehen, seine Frau zu werden, eine gemeinsame Zukunft bis an das Ende unserer Tage zu gründen. Sein Glück schien ihn zu überwältigen. Während er mich zärtlich streichelte und mich langsam entkleidete, begannen sich Theophylactus und Theodora geräuschvoll zu lieben. Ich hörte sie ohne Ende singen und stöhnen, hecheln und aufschreien. Offensichtlich stand Theodoras Geliebter Johannes nicht zwischen ihnen, sondern regte die Gemeinsamkeiten an. Als Martinus in mich hineinwuchs, stöhnten sie weiter, auf- und abschwellend. Ich gab keinen Laut von mir, auch Martinus nicht. Reglos hielt er mich, als wollte er mich nie mehr loslassen. Nicht weit von uns entfernt tobte der Kampf um die höchsten Spitzen der Wollust. Das Schlimme war nicht unser Schweigen, das Schlimme war, daß ich nichts spürte, während ich Martinus zu lieben glaubte. Ich fühlte mich tot. Er liebte einen Kadaver.
Nun lachten Theophylactus und Theodora, ein schrilles, albernes Gelächter, das zwischendurch erstickte und dann wieder höhnisch explodierte. Zugleich bewegte sich etwas in mir, ein fremder Körper, nicht schmerzhaft oder unangenehm, und doch ein Eindringling, der mich zurück zu Yussuf führte, zurück zu der Horde der Sarazenen, die wie hungrige Wölfe über mir geiferten, bis die Erinnerung schmerzhaft abbrach.
Martinus hatte aufgehört, sich zu bewegen.
»Ich bin deine Frau geworden«, flüsterte ich.
Er berührte meine Augen mit seinen Lippen.
Weil – nach einem langgezogenen Stöhnen des Theophylactus und einem auftrumpfenden Lustschrei Theodoras – Ruhe eingekehrt war, mußte ich wohl eingeschlafen sein. Als ich mit dem ersten Hahnenschrei erwachte, glaubte ich zu ersticken. Ich fühlte mich schwach und ausgelaugt, und alles, was ich Martinus Stunden zuvor versprochen hatte, war falsch. Voller Ekel vor mir und meinem nackten Körper, stand ich auf, warf mir meine Tunika
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