Die heimliche Päpstin
wiehernd seinen Kopf. Es war nicht die Schimmelstute, die er gewöhnlich ritt, es war ein alter Klepper, der zu lahmen begann. Seine Begleiter hatten ihn wie einen Gefangenen in ihre Mitte genommen. Er war ihr Gefangener.
Im Morgendunst verschwand er wie eine Geistergestalt, und nie sah ich ihn wieder.
Ich kann kaum atmen, so schnürt sich mir der Hals zu, nachdem ich mich von meiner Schreibplatte erhoben habe, um auf die in die Wand geritzten Buchstaben meiner Losung zu schauen. So alt ich geworden bin, so lange ich bereits auf den mir bevorstehenden Augenblick des Wiedersehens warte, so sehr quält mich eine diffuse Angst. Wer sagt mir denn, daß der Byzantiner, von dem bisher die Rede war, wirklich mein Sohn ist? Niemand hat ihn beim Namen genannt, und auch er hat mir kein Zeichen gesandt. Wer sagt mir, daß ich wirklich unsere Todeszelle tief unter dem Tiber verlassen darf? Bis jetzt hörte ich nur leere Versprechungen. Und wer sagt mir, daß Alexandros, wenn er es ist, mich überhaupt wiedererkennt? Daß er sich nicht enttäuscht von mir abwendet, weil er gehofft hat, Marozia ans Herz drücken zu können. Und ein noch tieferer, bisher stets unterdrückter Zweifel, erhebt sein düsteres Haupt: Seit der ersten und einzigen Nachricht, die mir von Alexandros' Leben und Wirken berichtete, sind Jahrzehnte vergangen – Jahrzehnte, in denen der Schnitter aus vielen Gründen nach ihm hätte greifen können.
Zuweilen denke ich, unser Leben erwächst einem Geflecht von Lügen, der gnädige Tod sollte mich im Dämmerschein melancholischer Hoffnung heimführen, bevor ich in das grelle Licht einer Wahrheit treten muß, die ich nicht ertragen kann.
Mich rührt auch das Schicksal meiner Marozia, die hinter mir auf ihrer Pritsche hockt, der Schatten ihrer selbst, und annimmt, daß ich den Mann wiedersehen werde, von dem sie ihr Leben lang geträumt hat – obwohl sie ihn nach außen hin vergessen zu haben schien. Kann es nicht sein, daß die Suche nach wollüstiger Ekstase ihr Weg war, die Sehnsucht auszuhalten?
Ich schaue über die Schulter, um einen Blick auf das Bündel büßenden Elends zu werfen. Hängende Schultern, vertrocknete Brüste, knochige Hüften unter einem großen, zerschlissenen Tuch, in dem die Läuse sich tummeln. Ausgefallene Haare auf schuppiger Kopfhaut, blutig gekratzt. Nagelkrallen ragen aus skelettartigen Fingern. Unter ihrer Pritsche schnuppern die Ratten über den Boden, während ihre langen, fetten Schwänze über die schmierigen Steine wischen. Marozia schwenkt seit Stunden langsam und gleichmäßig ihren Kopf hin und her, stößt mit hoher Stimme wimmernde und wehklagende Töne aus, in denen sich die unverständlichen Laute ihrer Gebete verlieren.
Wenn ich sie so sehe, quält mich das schlechte Gewissen – und zugleich ertrage ich die Büßerin nicht. Ich komme mir wie die Ratte vor, die vor dem Untergang des Schiffs von Bord springt, um ans sichere Land zu schwimmen – und zugleich weiß ich, daß ich ihr noch am ehesten als Befreite helfen kann.
Ich legte die Schreibfeder auch deswegen eine Weile nieder, weil ich mich scheute, von den Tagen zu berichten, die unser aller Leben verändern sollten.
Was würde ich gerne mit Euthymides in unserem Garten umherwandeln und in einer Rosenlaube die Grausamkeit des Schicksals beklagen! Wahrscheinlich bräche er lächelnd eine Blüte und hielte sie mir vor Augen und Nase. ›Während du jammerst, entfaltet sich die Rose zu einzigartiger Schönheit‹, wäre seine Antwort. ›Du riechst sogar ihren Duft, trinkst ihre Schönheit. Halte dich an die Rose und nicht an vergangenen Schmerz.‹
Ich würde sie ihm aus der Hand nehmen, daran riechen und ihm dann den Dorn ins Fleisch stoßen. Ein tiefdunkler Blutstropfen würde hervorquellen und uns wie ein klagendes Auge anschauen.
›Siehst du‹, höre ich Euthymides, ›selbst der Blutstropfen entfaltet eine stumme Schönheit. Das Leid ist der Boden, auf dem unser Glück wachsen und gedeihen kann.‹
Als ich mich wieder vor mein Pergament setzte, drehte sich Marozia um. Tagelang war ihr Blick von Todessehnsucht eingetrübt, doch jetzt funkelte, so schwach die beiden Kerzen leuchteten, ein Hoffnungsschimmer.
»Und die da saßen am Ort und Schatten des Todes, denen ist ein Licht aufgegangen«, zitierte ich die Heilige Schrift.
Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
Und lächelte schwach.
Mich indes verfolgen die Erinnerungen an damals, als der Schmerz über Alexandros' plötzliches
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