Die Heiratsschwindlerin
alle.«
»Aha«, sagte Esme. »So ein Geheimnis!«
»Ja«, erwiderte Milly. »So eines.« Sie holte tief Luft. »Und angenommen …« Sie biss sich auf die Lippen. »Angenommen, da kommt jemand, der weiß davon. Und er fängt zu drohen an.«
Esme atmete sacht aus.
»Verstehe.«
»Aber es ist unklar, ob es ihm ernst damit ist oder nicht. Er kann auch nur scherzen.«
Esme nickte.
»Tja«, sagte Milly. »Was soll sie deiner Meinung nach tun?« Sie sah auf. »Soll sie es ihrem … Partner sagen? Oder soll sie einfach den Mund halten und hoffen, dass sie damit durchkommt?«
Esme griff nach ihrer Zigarettendose. »Lohnt es sich denn wirklich, dieses Geheimnis zu bewahren?«, wollte sie wissen. »Oder ist es lediglich eine kleine Unbedachtheit, die niemanden stören würde? Könnte diese Person vielleicht überreagieren?«
»Nein«, sagte Milly, »auf keinen Fall. Es ist ein sehr großes Geheimnis. Wie eine …« Sie hielt inne. »Wie eine vorangegangene Ehe. Oder so was in der Art.«
Esme zog die Augenbrauen hoch.
»Das ist ein großes Geheimnis.«
»Oder so was«, wiederholte Milly. »Es ist egal, was es ist.« Sie hielt Esmes Blick stand. »Die Sache ist die, dass sie es zehn Jahre lang geheim gehalten hat. Niemand hat je davon erfahren. Und niemand braucht davon zu erfahren.«
»Aha«, sagte Esme. »Verstehe.« Sie zündete sich eine neue Zigarette an und inhalierte einen tiefen Lungenzug.
»Ja, was würdest du an ihrer Stelle tun?«, fragte Milly. Esme blies nachdenklich eine Rauchwolke aus.
»Welches Risiko geht die andere Person ein, wenn sie sie verrät?«
»Kein großes«, sagte Milly. »Kein großes, denk ich.«
»Dann würde ich nichts sagen«, riet Esme. »Augenblicklich zumindest. Und ich würde mir überlegen, wie ich den anderen dazu bringe, den Mund zu halten.« Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht verläuft das Ganze im Sande.«
»Glaubst du?« Milly sah auf. »Glaubst du wirklich?«
Esme lächelte.
»Schatz, wie oft hast du dich nachts schon hin und her gewälzt und dir Sorgen um etwas gemacht, nur um morgens dann zu entdecken, dass die ganze Angst völlig unbegründet war? Wie viele Male bist du mit einer Entschuldigung für irgendein Fehlverhalten hereingeeilt, nur um zu erkennen, dass es keinem überhaupt aufgefallen ist?« Sie zog tief an ihrer Zigarette. »Neun von zehn Malen ist es besser, mit gesenktem Kopf den Mund zu halten und zu hoffen, dass alles glatt geht. Und niemand braucht je davon zu erfahren.« Sie hielt inne. »Rein hypothetisch gesprochen, natürlich.«
»Ja, natürlich.«
Stille trat ein, unterbrochen nur durch das Knistern und Prasseln des Feuers. Draußen schneite es wieder in dicken Flocken.
»Trink noch etwas Glühwein«, schlug Esme vor. »Ehe er kalt wird. Und nimm dir noch ein Plätzchen.«
»Danke«, murmelte Milly. Sie nahm sich noch eines und starrte sie an. »Du glaubst also nicht, ich … die Person sollte ehrlich zu ihrem Partner sein?«
»Warum sollte sie?«
»Weil … weil sie ihn heiratet!« Esme lächelte.
»Schatz, an sich ist das ja ein netter Gedanke. Aber eine Frau sollte nie versuchen, ehrlich zu einem Mann zu sein. Das ist so gut wie unmöglich.«
Milly schaute auf. »Wie meinst du das, unmöglich?«
»Versuchen kann man’s natürlich«, meinte Esme. »Aber im Grunde sprechen Frauen und Männer nicht dieselbe Sprache. Sie haben … verschiedene Sinne. Versetze einen Mann und eine Frau in genau die gleiche Situation, und sie werden sie total unterschiedlich wahrnehmen.«
»Und daraus folgt?«
»Daraus folgt, dass sie einander fremd sind«, erklärte Esme. »Und du kannst mit niemandem vollkommen ehrlich sein, den du nicht richtig verstehst.«
Milly dachte eine Weile nach.
»Menschen, die seit Jahren glücklich verheiratet sind, verstehen einander«, sagte sie schließlich.
»Sie wursteln sich durch«, versetzte Esme, »mit einer Mischung aus Zeichensprache und Goodwill und dem einen oder anderen Satz, den sie im Laufe der Jahre aufgeschnappt haben. Zu den wahren Tiefen der Seele des anderen stoßen sie aber nicht vor. Dafür fehlt ganz einfach die gemeinsame Sprache.« Wieder zog sie an ihrer Zigarette. »Und Dolmetscher gibt es keine. Oder zumindest nur sehr wenige.«
Milly schaute sie mit großen Augen an. »Du willst also sagen, so etwas wie eine glückliche Ehe gibt es gar nicht?«
»Damit will ich sagen, so etwas wie eine ehrliche Ehe gibt es nicht«, erwiderte Esme. »Glück ist etwas anderes.«
»Ich schätze, du
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