Die heißen Kuesse der Revolution
Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. „Sie hatten jedes Recht, diese Frage zu stellen.“
Sie zitterte am ganzen Körper. Er spürte, dass sie von demselben wahnwitzigen Begehren erfasst war wie er. Er hob ihr Kinn mit dem Zeigefinger an. „Ich habe Sie außerordentlich schätzen gelernt, Julianne.“
„Ich Sie auch“, japste sie. „Ich bin froh, dass Jack Sie hierhergebracht hat und dass wir Freunde geworden sind.“
Er konnte seinen Blick nicht von ihren geöffneten Lippen abwenden. Es wurde immer schwieriger für ihn, vernünftig zu bleiben. „Aber wir sind mehr als Freunde, nicht wahr?“, hauchte er leise.
„Wir sind mehr als Freunde“, wisperte sie rau.
„Dennoch bald werde ich nach Frankreich zurückkehren müssen.“ Endlich konnte er die Wahrheit sagen.
Ihr stiegen die Tränen in die Augen. „Und ich werde Sie vermissen.“
Während sie einander in die Augen sahen, hörte er, wie unten eine Tür zugeschlagen wurde.
Dominic konnte nicht fassen, dass ihre Schwester sich ausgerechnet diesen Augenblick für ihre Rückkehr ausgesucht hatte. Wenn Amelia sie so überraschte, wäre das seiner Tarnung nicht dienlich. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück. Ein einzelner Kuss konnte keinem von ihnen schaden.
Dominic beugte sich herab und berührte mit seinen Lippen ganz sanft die ihren. Er war vorsichtig und zart wie eine Feder und dennoch überwältigte ihn sein Begehren wie eine Sturzflut.
Julianne japste nach Luft. Sie ergriff seine Schultern mit beiden Händen und öffnete sich für ihn.
Doch mit der Lust wurden all die schockierenden Erinnerungen wieder wach. Dominic ergriff Besitz von Juliannes Mund und sah all das Blut wieder und den Tod, die Wut und den Hass, das Elend und die Verzweiflung. Ein Teil von ihm war in Frankreich geblieben und durchlitt Qualen, ein anderer Teil war bei Julianne und in Ekstase. Dominic konnte nicht von Julianne lassen, er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle und er wollte es auch gar nicht mehr.
Sein Kuss wurde immer verlangender, und auch Julianne hielt sich nicht zurück.
Sie sollte es wirklich besser wissen. Sie durfte sich nicht so vertrauensvoll einem Fremden hingeben, dachte Dominic verschwommen.
Amelia und Julianne wollten zum Örtchen St. Just aufbrechen, um einige Lebensmittel zu besorgen. Die Schwestern ahnten nicht, dass Dominic oben an der Treppe stand und beobachtete, wie sie das Haus verließen.
Julianne wollte ihn nicht einmal für ein oder zwei Stunden allein lassen, doch das hatte er ihr ausgeredet.
Schließlich hatte sie ihm geglaubt, dass er lediglich ein wenig ausruhen wollte. Er hatte sich stoisch gegeben, doch innerlich konnte er es kaum erwarten, das Haus endlich einmal für sich allein zu haben.
Er war es gewohnt, rastlos herumzuschnüffeln. Alles, was er bisher über Greystone, über die Familie, die Umgebung und ihre Bewohner wusste, hatte er von Julianne erfahren. Er war begierig, das Haus selbst zu durchsuchen, einige Geheimnisse der Familie und ihrer Mitglieder zu erfahren. Zwar erwartete er nicht, sonderlich viel herauszufinden, aber man wusste ja nie. Jack Greystone erschien ihm am vielversprechendsten. Er mochte behaupten, dass er ein simpler Schmuggler sei und der Krieg ihn nichts anginge, aber vielleicht war er doch sehr aktiv daran beteiligt.
Er betrat die Schlafkammer einer Frau. Es gab zwei Betten darin, neben denen zwei kleine Nachttische mit je einer Kerzenschale standen: Anhand der Kleider, die an den Wandhaken hingen erkannte er, dass sich die Schwestern diese Kammer teilten. Julianne trug ausschließlich weißen Musselin. Amelia hingegen bevorzugte schlichte graue Hauskleider, so als wolle sie sich absichtlich unansehnlicher machen, als sie in Wirklichkeit war.
Nach zehn Minuten hatte Dominic den Raum gründlich durchsucht. Er fand ein paar alte Tagebücher, einige Toilettenartikel, Kerzen zum Wechseln und einen Stapel Briefe, die im Kleiderschrank unter Leibbinden verborgen waren.
Er stutzte bestürzt. Der Stapel war mit einem blauen Band umwickelt, und er glaubte, die Briefe wären an Julianne gerichtet.
Er entfaltete den obersten Brief und stellte erleichtert fest, dass es sich um Liebesbriefe an Amelia handelte. Hastig verstaute er sie wieder dort, wo er sie gefunden hatte.
Das nächste Zimmer musste Jack gehören. Da war sich Dominic sofort sicher, denn es roch regelrecht nach Schiffen und Meer.
Obwohl er es mit großer Sorgfalt durchsuchte, entdeckte er nichts Interessantes, bis er die
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