Die heißen Kuesse der Revolution
die Auffahrt und die Ställe blickte, ohne etwas wahrzunehmen. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie bekam keine Luft. Es war ihr unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie war wie gelähmt vor Entsetzen.
Alles war nur eine einzige Lüge gewesen.
Doch ihre Erinnerungen an Charles und die gemeinsam verbrachte Zeit überwältigten sie noch immer. Wie sie gemeinsam gegessen hatten, die Zeitungen lasen, über die Klippen wanderten, sich liebten. Sie sah sein blitzendes Lächeln wieder vor sich, seine grünen Augen, die erst warm, dann glühend funkelten.
Sie liebte diesen Charles Maurice, und Charles hatte ihre Liebe erwidert, davon war sie vollkommen überzeugt. Sie wollte ihn unbedingt wiederhaben!
Doch Charles Maurice existierte nicht. Ihr heroischer französischer Offizier war nichts als eine Vortäuschung falscher Tatsachen. Fast einen Monat hatten sie miteinander verbracht, erst als Invalide und Krankenschwester, dann als Freunde und Liebende, doch es war alles nur eine Lüge. Charles Maurice war in Wahrheit ein kaltherziger Fremder mit der näselnden Aussprache der englischen Oberklasse. Er war ein Brite und ein Spion!
Sie hatte ihre Nächte im Bett eines britischen Spions verbracht!
Das Entsetzen wurde von Schmerz und aufsteigendem Zorn verdrängt.
„Wärst du bereit, dich vernünftig mit mir zu unterhalten?“
Sie fuhr zusammen, als sie seine Stimme vernahm. Ganz langsam drehte Julianne sich um.
Da stand dieser Engländer nun in der Tür zu ihrer Kammer. Sein Gesicht wirkte verschlossen, sein Blick aber war fragend.
Sie zitterte und japste nach Luft. „Raus!“, schrie sie.
Er betrat die Kammer, als hätte er sie gar nicht gehört. „Wir brechen in Kürze nach London auf, und ich würde vorher gern noch mit dir sprechen.“ Er schloss sachte die Tür hinter sich, dann sah er sie offen an.
Rasend vor Wut ging sie einen Schritt auf ihn zu und schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht. Es klang wie der Knall einer Peitsche.
Seine Wange färbte sich purpurrot, doch er zuckte nicht einmal zusammen. „Das habe ich wahrscheinlich verdient.“
„Wahrscheinlich?“, keuchte sie.
„Deine Erinnerungen an Charles Maurice sollten unversehrt sein, wenn ich gehe.“
Sie wollte noch einmal ausholen, doch Dominic fing den Schlag ohne Mühe ab. Er umfasste ihr Handgelenk. „Ich kann verstehen, dass du mir wehtun willst, Julianne, aber Ohrfeigen lösen nichts.“
Sie entwand sich seinem Griff. „Du wolltest hier verschwinden, ohne dass ich jemals die Wahrheit über dich herausfinde?“
„Ja, genau das wollte ich. Julianne, du bist eine Jakobinerin, du stehst in Kontakt mit Paris. Ich habe es geschafft, so lange am Leben zu bleiben, indem ich mich auf meinen Instinkt verlasse habe. Es war das Beste, dich in der Annahme zu belassen, ich wäre ein Offizier der Revolutionsarmee. Ich musste doch befürchten, du könntest dem Feind verraten, wer ich wirklich bin.“
„Du hast mich angelogen! Ich habe dich gesund gepflegt, dir vorgelesen, dein Essen zubereitet, und du hast mich angelogen! Ich habe dir die letzten Neuigkeiten gebracht und bin in dein Bett gehüpft! Aber du hast meine Sympathien für eine Sache, die gar nicht deine ist, ausgenutzt und gelogen!“
„Dir meine Tarnung zu enthüllen wäre viel zu gefährlich gewesen. Mach bitte nicht solchen Lärm.“
Am liebsten hätte sie ihn noch einmal geschlagen und ihm dann die Augen ausgekratzt. Doch sie senkte die Stimme. „Wir haben uns wochenlang geliebt. Und du hättest mir jederzeit die Wahrheit anvertrauen können.“
„Nein, das konnte ich eben nicht.“
„Großer Gott! Das Lächeln, die verstohlenen Blicke, die Zärtlichkeit, das alles war nichts als Lüge!“
Dominic zögerte. „Ich habe dich sehr gern.“
Sie schlug wieder zu, und er wehrte sich nicht. Sie ließ von ihm ab und begann zu weinen. „Ich habe mich in dich verliebt!“
„Du hast dich in den Mann verliebt, den du in mir sehen wolltest.“
„Ich habe mich in den Mann verliebt, der du behauptet hast zu sein! Und das kam dir gerade recht, nicht wahr?“ Julianne war maßlos enttäuscht und verletzt, als sie begriff, wie bereitwillig sie sich von ihm hatte lenken und ausnutzen lassen. „Du hast es von Anfang an geplant, mich zu verführen! Du wolltest, dass ich dich liebe, damit ich nur ja keinen Verdacht schöpfe! Du bist ein gemeiner, gefühlloser und hinterhältiger Schuft! Verschwinde! Lass mich in Ruhe! Geh wieder nach Frankreich! Ich hoffe, du gehst dort vor die
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