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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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an dem Fenster jemand steht, der einen theoretischen Protest in etwas zutiefst Menschliches verwandelt. Ein kleines Mädchen, das mit großen, ängstlichen Augen auf den Trubel herunterschaut. Alle warten, was passiert. Doch Peggy steht nur da.
    Der Einsatzleiter nimmt zögernd das Megaphon an den Mund und will gerade etwas sagen, lässt schon das P von »Peggy« heraus, als Peggy plötzlich dem Einsatzleiter und all den Polizisten zuruft: »Lasst mich in Ruhe! Ihr seid gemein!« Und dann beginnt sie zu weinen.
    Wir gehen zu ihr, umarmen sie, trösten sie. Ein großes menschliches Knäuel aus Fürsorge und Liebe. Die Fotografen und Kameraleute halten drauf. Es ist ein Bild, das man in den nächsten Tagen oft in den Medien sehen wird. Und es ist das Bild, das am Ende alles entscheidet.
    Unten wird hektisch telefoniert, hinterher erzählt man uns, dass der Bürgermeister höchstpersönlich angerufen wurde. Uns jetzt zu räumen, dieses arme, weinende Mädchen aus den Armen der Menschen zu reißen, die sie offenkundig lieben, wäre ein PR-Desaster. Und die nächste Wahl kommt bestimmt.
    Davon wissen wir nichts. Wir umarmen uns. Wir warten. Nichts geschieht.
    Wir kauen Fingernägel, laufen auf und ab, wissen nicht, ob jeden Moment die Wohnung gestürmt wird oder ob man uns heiligspricht. Dann kommt ein Anruf, von irgendeinem Typen aus dem Senat, irgendjemand von ganz oben, der Jörn sagt, die »Sachlage« würde »neu geprüft«. Die Polizei zieht unter dem Jubel der Leute ab. Jegor singt noch drei Lieder und kommt dann hoch zu uns in die Wohnung. Nele umarmt Jegor und bedankt sich. Jegor sieht erschrocken aus. Ich glaube, er ist noch nicht oft umarmt worden in seinem Leben. Ich bin dem Jungen dankbar, aber ich möchte ihn eigentlich nicht in Neles Nähe haben. Aber dann sage ich mir, jeder hat eine Chance verdient und Nele wird schon damit umgehen können. Ich bin allerdings auch ein Vater. Und Väter sind Raubtiere, die über ihre Jungen wachen. Ich werde den kleinen Scheißkerl also im Auge behalten.
    Peggy seufzt. Sie sieht erschöpft aus.
    Jörn sagt: »Alles wird gut, mein Schatz.«
    Sie schaut Jörn lange an, lächelt müde und fragt dann: »Kann ich Bernd das Brot gucken?«
    Jörn muss lachen und sagt: »Sicher, Süße. Natürlich kannst du das.«
    Wir anderen lachen auch. Peggy schaltet den Fernseher ein. Florian holt eine Flasche Bio-Sekt aus seiner Tasche. Sven strahlt über das ganze Gesicht, und ich bemerke erstaunt, dass ich ihn schon seit Jahren nicht mehr wirklich fröhlich gesehen habe. Dieser Sven, in diesem Moment, ist der Sven, der einmal mein bester Freund war. An diesem Abend ist die Premiere seines neuen Stückes in Düsseldorf, doch er wird nicht dabei sein. Auch Jörn schaut Sven an, und ich weiß nicht, was genau dieser Blick bedeutet, aber er könnte ein gutes Zeichen sein.
    Anita hat vor lauter Rührung tränenverschmierte Wangen, und Adze kramt aus seiner Tasche ein benutztes Papiertaschentuch hervor, das er ihr reicht. Sie nimmt es und wischt sich damit über das Gesicht.
    Ich höre, wie Lucy ihrem Polizisten zuflüstert: »Irgendwann will ich auch Kinder …«
    Susann kommt zu mir und küsst mich. Sie braucht nichts zu sagen, denn wir denken dasselbe: Das Leben ist ein Schlachtfeld. Aber wir Kirschkernspucker sind und bleiben Helden.

Nachtrag 2012
    E s war, glaube ich, die richtige Entscheidung, dieses Buch zu schreiben. Ich musste es einfach tun. Vermutlich werde ich damit nicht den Bruchteil der Auflagenhöhe erreichen, die meine blöden Krimis inzwischen einfahren, aber es hat mir gutgetan, die letzten zehn Jahre meines Lebens und des Lebens meiner Freunde zu rekapitulieren. Das Problem mit solch wahren Geschichten ist nur, dass sie nicht einfach enden, wenn ich das Wort ENDE unter den Text setze. Das Leben geht weiter. Gott sei Dank.

    Mittlerweile haben wir November 2012, und dieses Manuskript geht – mehr als ein Jahr, nachdem ich die letzte Zeile zu Papier gebracht habe – in die Produktionsphase. Bald wird es als fertiges Buch erscheinen.
    In den vergangenen Monaten ist auch wieder eine ganze Menge passiert. Das Allerwichtigste zuerst: Peggy wurde adoptiert. Frau Zertl musste zähneknirschend akzeptieren, dass Jörn Peggys Pflegevater bleiben durfte – aber wohlgemerkt nur so lange, bis passende Adoptiveltern gefunden wurden. Und so wurde es zu Frau Zertls persönlicher Mission, Peggy Jörns Klauen zu entreißen. Sie ist eine sture alte Wachtel! Es war nicht leicht für sie,

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