Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Sven, der von einem Soldaten zu Boden gerissen wurde!
Ich rief auf Svens Handy an und erreichte nur die Mailbox. Dann rief ich Jörn an. Der fiel aus allen Wolken, als ich ihm erzählte, wo sich sein Mann derzeit mutmaßlich befand – in einer Einzelzelle in der amerikanischen Botschaft. Gemeinsam fuhren wir an die Alster. Ich hatte Arne nicht lange bitten müssen, uns dort zu treffen. Arne jagte natürlich liebend gern einer potenziellen Story über amerikanische Menschenrechtsverletzung und Freiheitsberaubung nach. Und ich wusste, dass die Anwesenheit eines Reporters es den Amerikanern schwerer machen würde, uns einfach wieder wegzuschicken.
Jörn saß auf dem Beifahrersitz und starrte das Foto an, das ich noch schnell ausgedruckt hatte. Er zitterte. Für einen kurzen Moment hatte ich Angst, dass er anfangen würde zu weinen. Ich wusste nicht, wie ich mit einem weinenden Mann auf dem Beifahrersitz hätte umgehen sollen.
»Den Pulli hat er sich bei unserem Urlaub in Oslo gekauft«, sagte Jörn.
»Und du hast wirklich keine Ahnung, was er in der Botschaft gewollt haben könnte?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. Dann überlegte er und sagte zögernd: »Vielleicht hat es etwas mit diesem Mahmoud zu tun …«
Ich schluckte. Wenn ein Mann namens Mahmoud in die Sache verwickelt war, würde das unser Gespräch mit der amerikanischen Botschaft ganz sicher nicht vereinfachen.
»Wer ist Mahmoud?«, fragte ich Jörn.
Jörn erzählte mir von dem New Yorker Musiker, der Thalia-Inszenierung und dem Flugverbot. Er war gerade mit seiner Erklärung fertig, als ich im Halteverbot auf einem Seitenstreifen nahe der Botschaft anhielt. Ich sah Arne, der bereits auf uns wartete. Gemeinsam gingen wir drei zum Eingang der Botschaft.
»Hello, we would like to go inside«, sagte ich zu dem stoppelhaarigen Soldaten am Tor.
»Well, you can’t«, antwortete der.
Ich zückte das Foto, das Svens »Verhaftung« zeigte. Der Soldat warf einen Blick darauf und verzog das Gesicht. Jörn wedelte mit seinem Presseausweis.
Der Soldat griff nach seinem Funkgerät. »Sir …«, begann er.
* * *
Petra saß auf einer Treppenstufe vor einem Altbau und schaute zu dem Klinikgelände auf der anderen Straßenseite hinüber. In einer halben Stunde war ihr Termin. In einer halben Stunde würde der horizontale Strich aus ihr entfernt werden. Sie zwang sich, nur diese Sicht der Dinge zuzulassen: Es war bloß ein horizontaler Strich.
Petra war aus der U-Bahn gestiegen, aus dem Bahnhof hinauf auf die Straße getreten und hatte zur Klinik gehen wollen, als ihr ihre Füße den Dienst versagten. Sie hatte es einfach nicht geschafft, die Straße zu überqueren. Sie hatte nur dagestanden. Dann waren ihre Knie plötzlich ganz weich geworden, und sie hatte sich hinsetzen müssen. Sie war einfach zusammengesackt. Im Eingang eines Wohnhauses direkt hinter ihr. Und da saß sie nun auf den Stufen und starrte ins Leere. Sie fühlte sich elend.
Dille und sie hatten sich gestritten letzte Nacht. Die Fetzen waren geflogen. Dille hatte sie angebrüllt, sie hatte zurückgebrüllt. Nachts um zwei hatten sogar die Nachbarn, die letztes Jahr ins Haus gezogen waren und ständig etwas zu meckern hatten, bei ihnen geklingelt und mit der Polizei gedroht.
»Sie haben doch gar keine Ahnung, worum es hier geht!«, hatte Dille den blöden, fetten Typen und seine Frau mit den dämlichen Strähnchen angebrüllt. »Also halten Sie sich da raus!«
Petra hatte bemerkt, dass Dille Tränen in den Augen hatte. Das hatte sie verängstigt. Und ein wenig gerührt. Nicht genug allerdings, um einzulenken. Sie hatte den Nachbarn die Tür vor der Nase zugeknallt, und der Streit war weitergegangen.
»Du machst mir einfach wieder ein Kind, und ich soll jetzt noch mal ganz von vorne anfangen? Ich bin vierzig! Ich will nicht noch mal Windeln wechseln! Ich will endlich mein Leben leben. Ich hab schon drei Kinder großgezogen!«, hatte sie herausgeschrien.
»Ach, und das war so schrecklich? Tut mir leid, ich hab nicht gewusst, dass du so darunter gelitten hast, Mutter zu sein«, hatte Dille geantwortet, und seine Stimme war plötzlich bedrohlich ruhig geworden. »Ich dachte, du liebst unsere Kinder.«
»Natürlich liebe ich unsere Kinder, du Arsch! Wie kannst du es wagen, mir zu unterstellen, dass ich meine Kinder nicht liebe?! Ich will nur jetzt … Ich habe ein Recht darauf …«
»Unser Kind hat auch ein Recht«, hatte Dille gezischt und dabei auf ihren Bauch gezeigt. »Es hat das
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