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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Leben, waren wir inzwischen weniger eine Einheit, als ich es in dem Buch noch zelebriert hatte.
    Selbstverständlich sahen wir uns immer noch. Relativ oft sogar. Wir waren alle noch befreundet. Susann verbrachte zum Beispiel viel Zeit mit Sven und noch mehr mit Jörn. Ich traf mich gelegentlich mit Dille zu fragwürdigen Jungs-Aktivitäten – wie an jenem Tag Ende Oktober 2001, als wir im Wald mit ein paar von Dilles Freunden Paintball spielten und ich mittendrin abbrechen musste, weil ich mir durch die ganzen ruckartigen Bewegungen den Rücken verrenkt hatte und nur noch humpeln konnte. Außerdem traf ich mich alle zwei, drei Wochen mit Petra und Dille zu einem Horrorfilmabend. Wir saßen dann bei den beiden zu Hause und zogen uns auf dem Großbildfernseher DVDs rein. Petra konnten die Filme gar nicht blutig genug sein, und Dille amüsierte sich prächtig und lautstark darüber, wenn irgendeine Frau diese grotesk schwerkraftresistenten Plastiktitten vor sich hertrug, die damals in den USA gerade in Mode kamen. Ich saß grinsend daneben und mampfte Unmengen von Kartoffelchips, während die Höllenkreatur in Jeepers Creepers ihre Opfer zerfetzte oder Hannibal Lecter sich in Hirnmasse suhlte. Susann wollte nicht, dass ich zu Hause Kartoffelchips aß, weil gerade bekannt geworden war, dass die Dinger voll krebserregendem Acrylamid waren, und ich unserer Nele kein schlechtes Beispiel sein sollte, indem ich vor ihren Augen die karzinogenen Dinger knabberte. Deshalb holte ich das bei Petras und Dilles Blutabenden nach.
    Jeder Kirschkernspucker traf also immer mal wieder jeden. Aber wir alle fünf zusammen – das gab es viel zu selten. Und deshalb hatten wir den Silvesterpakt geschlossen. Unser festes Kirschkernspuckerritual.

    Im Jahr 2001 fand die Silvesterfeier bei Susann und mir zu Hause statt. Zuerst hatten wir auslosen wollen, wer der Gastgeber sein würde, doch dann hatte mir Susann gesteckt, dass Dille und Petra nicht das Geld hatten, um eine Feier auszurichten. Die Anwaltskosten, die sie zahlen mussten, um ihre Zwillinge vor dem Knast zu bewahren, waren immens gewesen. Zwar war das Verfahren inzwischen eingestellt worden, doch der Jurist hatte Dille und Petra eine Rechnung in fünfstelliger Höhe gestellt, die nun über Monate, wenn nicht Jahre, abgestottert werden musste. Susann wollte unsere Freunde nicht der Peinlichkeit aussetzen, ihre prekäre finanzielle Situation offen diskutieren zu müssen, und hatte deshalb kurzerhand verkündet, dass die Feier bei uns stattfände und die anderen sich unterstehen sollten, irgendetwas mitzubringen. Weder Wein noch Dessert, weder Knabberkram noch Schnaps. Wir würden Raclette vorbereiten. Und selbst ums Feuerwerk würden wir uns kümmern. Auf diese Weise nahm Susann Dille und Petra dezent eine kleine Last von den Schultern. Meine Süße war super in solchen Dingen. Sie besaß die Diplomatie und das Fingerspitzengefühl, das mir als zwischenmenschlichem Grobmotoriker allzu oft fehlte.
    Der Erste, der zu unserem Kirschkernspuckerabend eintraf, war gar kein richtiger Kirschkernspucker: Es war Jörn.
    »Sven kommt etwas später«, sagte er. »Er hat noch eine Besprechung.«
    »Am Silvesterabend?«, wunderte ich mich.
    »Es gibt am 5. Januar irgendeine Benefizvorstellung, und da muss noch irgendetwas geklärt werden«, führte Jörn aus.
    »Wie scheiße ist das denn?«, ereiferte ich mich. »Am Silvesterabend um acht noch irgendwelche …«
    Ich war ziemlich sauer, denn dieser Abend war mir wichtig. Susann allerdings unterbrach mich, indem sie Jörn am Arm nahm und in die Küche zog. Bevor ich hinterherdackeln konnte, klingelte es erneut, und Dille und Petra standen vor der Tür. Sie hatten mir Kartoffelchips mitgebracht. Petra grinste, als sie sie mir überreichte.
    Wir gingen zusammen in die Küche, wo Susann gerade eine Flasche Sekt öffnete. Sie goss jedem von uns ein Glas ein, doch Petra schüttelte den Kopf, als Susann ihr eines reichen wollte.
    »Ich nehme eine Apfelschorle«, sagte sie.
    Wir schauten sie erstaunt an, denn Petra konnte von uns allen am meisten trinken, und Apfelschorle war ein Getränk, das ihrer Meinung nach auf Kindergeburtstage gehörte und sie normalerweise nicht freiwillig anrührte.
    Selbst ich zog daraus schnell die richtige Schlussforderung. »Nee, ne?«, grinste ich.
    Petra zuckte mit den Schultern, als müsse sie sich für ihre Schwangerschaft entschuldigen.
    »Oh, wie schön!«, rief Susann.
    Jörn umarmte Petra stürmisch und flüsterte

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