Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
gerührt: »Ich gratuliere.«
»Wenn du mich noch doller drückst, dann war es das mit der Schwangerschaft«, keuchte Petra.
»Das würde dir gefallen, was?«, knurrte Dille seine Frau an.
Wir anderen hielten erstaunt inne. Was war das denn für eine seltsame Bemerkung?
»Was willst du denn noch?!«, giftete Petra zurück. »Ich krieg es doch!«
Susann, Jörn und ich standen ratlos und peinlich berührt daneben.
»Ich wollte es abtreiben lassen, aber ich konnte nicht«, erklärte Petra so beiläufig, als würde sie uns erzählen, dass sie über einen Urlaub in Südfrankreich nachgedacht, am Ende dann aber doch wieder die Kanaren gebucht habe.
»Äh …«, sagte ich, weil sonst niemand etwas sagte und ein »Äh« immer noch besser war als nichts.
Susann öffnete gerade den Mund und war zweifelsohne kurz davor, etwas Substanzielleres als ich beizusteuern, als es erneut an der Tür klingelte.
Ich öffnete. Es war Sven. Er hatte einen lustigen Papphut auf und blies in eine alberne Tröte.
»Hallo, Sven«, sagte ich und umarmte ihn.
»Irgendjemand gestorben?«, wunderte er sich über die gedrückte Stimmung.
»Nee, ganz im Gegenteil«, sagte Petra und grinste Sven an. »Trägt man so was jetzt unter euch Kultur-Bohemians?«, fragte sie und zeigte auf den blauschimmernden Papphut.
»Ja«, antwortete Sven bierernst. »Nur jene Leute, die Schopenhauer gelesen und verstanden haben, dürfen solch einen Hut tragen. Daran erkennen wir uns auf der Straße und nicken einander verschwörerisch und selbstzufrieden zu.«
Wir lachten. Mehr oder weniger überzeugend.
Im Laufe des Abends entspannte sich die Situation. Die Kabbeleien zwischen Petra und Dille waren auf jenes Niveau gesunken, wo sie als scherzhafte Sticheleien durchgingen. Sven war bester Laune und erzählte witzige Anekdoten vom Theater. Ein paar Tage zuvor hatte einer der Schauspieler einem anderen ein rohes Ei in den Schuh gelegt, und als der arme Kerl den Treter anzog und die Schweinerei bemerkte, war es zu spät, um die Schuhe noch zu wechseln. Er musste einen ganzen Akt lang in der glitschigen Pampe über die Bühne rutschen.
Nele saß erstaunlich ruhig und artig mit am Tisch. Sie liebte es, die Raclettepfännchen zu füllen, und da es eine gute Möglichkeit war, ihr ansonsten überschäumendes Temperament in Zaum zu halten, erlaubten wir ihr, auch unsere Pfännchen zu bestücken. Dass wir dabei solch fragwürdige Kombinationen wie Camembert-Thunfisch-Mais-Ketchup und Banane-Smarties-Schinken in Kauf nehmen mussten, amüsierte uns eher, als dass es uns störte.
Nach dem Essen räumten wir den Tisch ab und bereiteten das Bleigießen vor.
»Ich hab eine Superidee«, verkündete ich und tat so, als wäre mir gerade ein spontaner Einfall gekommen. Tatsächlich hatte ich mir das, was ich nun vorschlug, schon vor einigen Tagen überlegt. »Wie wär’s, wenn wir beim Bleigießen nicht irgendeine Figur oder Sache oder so etwas in die Bleiklumpen hineininterpretieren, sondern wenn jeder erzählt, an welches Kirschkernspuckerereignis ihn dieses Stück Blei erinnert?«
Meine Freunde schauten mich erstaunt an.
»Wie soll mich denn ein Stück Blei an ein bestimmtes Ereignis aus meinem Leben erinnern?«, fragte Dille.
»Und Jörn war doch gar nicht in der Bande. Der kann gar nicht mitmachen«, bemerkte Susann.
»Ach, ich hör mir gern eure ollen Kamellen an«, grinste Jörn.
»Du bist so ein wehmütiger Nostalgiker«, schüttelte Sven amüsiert den Kopf. »Leg doch noch ’ne Spandau-Ballett- oder Fischer-Z-LP auf, dann ist deine Reise in die Vergangenheit wenigstens stilecht.«
»Haha, sehr witzig«, maulte ich und nahm mir vor, möglichst unauffällig den CD-Stapel mit der Musik aus den Siebzigern und Achtzigern verschwinden zu lassen, den ich vor der Feier zusammengestellt hatte.
»Ich find’s lustig«, kam Petra mir zur Rettung. »Darum geht’s doch heute Abend. Um uns. Und unsere gemeinsame Zeit.«
»Danke, Petra«, sagte ich lächelnd. »Auf dich ist Verlass.«
»Schleim dich nicht ein«, sagte sie, »sonst ändere ich meine Meinung wieder.«
»Okay«, sagte Susann. »Also Kirschkernbleigießen.«
Ich strahlte. Ich würde meine Reise in die Vergangenheit bekommen.
»Mir ist langweilig«, murrte Nele plötzlich. »Ich will Fernsehen.«
Ich ging mit ihr ins Schlafzimmer und schaltete das kleine Gerät an, das dort stand. Susann hasste es, einen Fernseher am Bett stehen zu haben, aber hin und wieder setzte ich mich in unserer Beziehung doch
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