Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
durch. Auf dem Bildschirm flimmerte eine alte Episode von Ein Herz und eine Seele mit Ekel Alfred.
»Das ist kaputt«, protestierte Nele. »Die Farbe is wech.«
Ich schaltete auf einen anderen Kanal. Dort schrie Hape Kerkeling im Rahmen einer Best-of-Comedy-Sendung: »Hurz!«
Nele lachte. Ich ließ sie mit der Fernbedienung allein.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, hatte Sven bereits seinen Bleiklumpen geschmolzen und ließ ihn in den Topf mit kaltem Wasser gleiten. Er fischte das erkaltete Stück Metall heraus, das fast kreisrund war und eine lange Kerbe im unteren Drittel aufwies.
»Das sieht aus wie ein Smiley«, sagte er. »Diese gelben Grinsegesichter, die damals jeder …«
»Wir wissen, was ein Smiley ist, du Wurstkopp«, unterbrach ihn Petra.
»Okay«, lachte Sven. »Das ist leicht.« Er schaute Susann an. »Du hattest ein T-Shirt mit einem Smiley an, als du mit unserem Piet hier im Haus der Jugend auf der Party warst. Da warst du zwölf oder dreizehn oder so, und du warst schon damals total verknallt in ihn.«
»Ich hatte nie ein Smiley-T-Shirt«, widersprach Susann. »Ich fand die schon immer doof.«
»Doch! Du hattest eins! Das weiß ich ganz sicher! Und du hast mit Piet Engtanz gemacht und …«, ereiferte sich Sven.
»Nee«, unterbrach ich Sven. »Das kriegste durcheinander. Wir waren auf der Party im Haus der Jugend, aber ich war damals in jemand anderen verknallt. Die hatte so ein Smiley-T-Shirt an. Und mit der hab ich getanzt. Die hieß … Wie hieß die noch mal … Scheiße. Alzheimer.«
»Stimmt!«, rief Sven. »Du hast recht! Da war irgendeine andere. Und Susann hat total geheult deswegen.«
»Was?«, fragte ich. »Du hast geheult?«
»Na, du Dödel hast das natürlich gar nicht mitbekommen«, sagte Susann. »Du hattest ja nur Augen für deine Smiley-Maus. Und sie hieß übrigens Tanja!«
»Du kannst dich noch an ihren Namen erinnern?«, fragte ich fassungslos.
»Sie war meine Erzfeindin. Natürlich weiß ich ihren Namen noch. Ich wollte ihr die Augen auskratzen«, sagte Susann. »Du hast immer nur von ihr geredet und überhaupt nicht bemerkt, dass ich schon damals verrückt nach dir war.«
»Tschuldigung«, sagte ich kleinlaut. »Tut mir leid.«
Alle am Tisch lachten los.
»Ist okay«, sagte Susann übertrieben großzügig. »Ich habe dir inzwischen verziehen.«
Ich küsste sie.
»Das ist so süß«, seufzte Jörn und schaute Sven an. Der wandte sich Dille zu und gab ihm den Löffel mit Blei: »Du bist dran.«
Dille erkannte in seinem Bleistück Petras Arm wieder. Wir hatten fast vergessen, dass Petra ihn damals zum Armdrücken herausgefordert hatte, als er ihr einen Heiratsantrag machte. Sie würde nur einen Mann heiraten, der stärker ist als sie, hatte sie gesagt. Dille hat erst durch meinen Roman erfahren, dass Petra ihn damals gewinnen ließ. Sie sah und sieht nicht so aus, aber Petra ist unfassbar stark.
Sven interpretierte in sein Bleistück, das merkwürdig verbogen und verzerrt aussah, den fassungslosen Gesichtsausdruck seiner Mutter hinein, als diese erfahren hatte, dass er schwul ist. Zwischen den beiden hatte bis heute keine Aussprache oder gar Versöhnung stattgefunden, doch so gekränkt Sven von ihrer Intoleranz und Ablehnung auch gewesen war, inzwischen betrachtete er das alles deutlich gelassener. Das war lange her.
Als Petra ihren Bleiklumpen ins Wasserbad klatschte, fiel er vollkommen auseinander. Nur Krümel und Geklecker, Bruchstücke und Abfall.
»So sah unsere Wohnung aus, als ich damals für ein paar Tage abgehauen bin und Dille mit den Kindern allein gelassen habe«, befand sie.
Wir lachten, und Dille nickte zustimmend.
Die Stimmung war ausgelassen, unser nostalgisches Spiel hatte uns so amüsiert, dass ich es nun doch wagte, eine meiner selbstgebrannten Olle-Kamellen-CDs in den Player zu schieben. Wir sangen mit, als Jethro Tull »Too Old to Rock ’n’ Roll« anstimmte, die Sex Pistols »God Save the Queen« herauskrakeelten und Bob Marley behauptete: »No woman, no cry.«
Abschließend goss Susann Blei, und als sie ihr Stück aus dem kalten Wasser fischte, sahen wir alle dasselbe – einen Embryo. Kein anderes Bleistück war auch nur ansatzweise so eindeutig zu identifizieren gewesen. Sogar ein Stück Nabelschnur konnte man erkennen.
Susann sagte: »Hallo, Nele«, woraufhin wir verzückt »Aaah!« und »Na klar!« und »Schön« riefen, und Dille nahm Petra in den Arm, was die sich gern gefallen ließ.
Susann küsste mich und sagte: »Wir
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