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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Abstriche machen müssen. Das ist dir klar, oder?«
    »Ja, äh …«, stammelte ich.
    »Was schwebt dir denn so für eine Geschichte vor?«, fragte Ulf. »So ganz spontan.«
    »Eine depressive Privatdetektivin?«, schlug ich vor.
    Das Lachen meines Lektors war so laut, dass ich den Hörer ein Stück vom Ohr weghalten musste.
    * * *
    Susann saß auf der Bank am Rande eines Spielplatzes, nicht weit von ihrer Wohnung in Hamburg-Ottensen. Nele saß mit zwei anderen Kindern in der Sandkiste und buddelte mit ihnen gemeinsam hochkonzentriert elaborierte Gräben und Türmchen für ihre Playmobilfiguren.
    Es war Samstagmorgen, und Susann hätte gern mit Piet und Nele einen kleinen Ausflug gemacht, ein Spaziergang an der Elbe, ein Besuch im Hirschpark vielleicht. Doch Piet hatte sich gleich nach dem Frühstück hinter seinem Computer verschanzt und sich auf sein neues Buchprojekt gestürzt. Ein Krimi. Ausgerechnet. Piet konnte regelrecht manisch werden, wenn er sich ein Ziel setzte und seine Reise dorthin begann. Dann trat die restliche Welt für eine Weile in den Hintergrund. Und selbst wenn Susann ihn tatsächlich zum Hirschpark hätte überreden können, wäre er vermutlich bloß stumm und mit den Gedanken bei seinem neuen Projekt neben ihr und Nele hergetrottet. Also: Spielplatz.
    Susann schaute ab und an zu ihrer Tochter hinüber, doch da Nele völlig in ihr Spiel vertieft war, blätterte Susann die meiste Zeit in den Unterlagen, die sie mitgenommen hatte. Es waren die aktuellsten Verordnungen der Schulbehörde. Susann hatte das Gefühl, dass ihr Alltag als Lehrerin nur noch zu einem knappen Drittel aus Unterrichten bestand. Der Rest war Papierkram: Reformen, Statistiken, Schwachsinn. Sie hatte diesen Beruf einmal ergriffen, weil sie die Vorstellung gehabt hatte, junge Menschen auf einen guten Lebensweg bringen zu können. Doch dazu kam sie in letzter Zeit immer seltener. Die Bürokratie hatte sie im Würgegriff. Susann seufzte.
    »Weißt du, was ich total an dir mag?«, sagte plötzlich eine Männerstimme neben ihr.
    Susann blickte überrascht auf und sah Jörn, der neben ihr stand. Svens Ehemann hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und grinste sie an.
    »Meine unglaublich faszinierende Aura, meinen Humor und meinen Intellekt?«, schlug Susann vor.
    »Nicht zu vergessen deinen erstklassig geformten Hintern«, fügte Svens Ehemann mit einem Zwinkern hinzu. »Nein, vor allem mag ich an dir, dass man dir immer ansieht, wie es dir gerade geht.«
    »Soso?«, lächelte Susann. »Und wie geht’s mir gerade?«
    »Ich habe dich hier sitzen sehen, als ich auf dem Balkon war, und dachte, das arme Mädchen braucht eine Aufmunterung«, sagte Jörn und zauberte hinter seinem Rücken zwei Becher hervor, aus denen es verführerisch dampfte.
    »Cappuccino?«, strahlte Susann.
    »Wozu hab ich mir schließlich diese sündhaft teure Kaffeemaschine gekauft?«, sagte Jörn.
    Susann nahm ihm eine Tasse ab. »Du bist ein Engel.«
    Jörn setzte sich neben sie.
    In diesem Moment bemerkte auch Nele Jörn und winkte ihm begeistert von der Sandkiste aus zu. »Hallo, Onkel Jörn!«, rief sie.
    Jörn warf ihr eine Kusshand zu. »Hallo, Rockerbraut!« Dann drehte er sich wieder zu Susann und zeigte auf die Papiere, die sie neben sich auf die Bank gelegt hatte. »Die üblichen brillanten Einfälle der Schulbehörde?«
    »Ja«, nickte Susann spöttisch. »Die deutsche Lehrerschaft besteht nach wie vor aus Superhelden. Wir können alles! Wir machen jeden Tag aus verwahrlosten Legasthenikerkindern Atomphysiker und sparen dabei auch noch zwanzig Prozent des Bildungsetats ein.«
    »Na ja, wenigstens hast du einen Job«, antwortete Jörn.
    Susann legte ihre Hand auf seine. »Nichts Neues bei dir?«, fragte sie.
    Jörn schüttelte den Kopf. »Ist ’ne kleine Branche. Und jeder klebt auf seinem Posten. Wenn’s so weitergeht, muss ich mich wohl umorientieren.«
    Jörn war vor neun Monaten arbeitslos geworden, als das Musicaltheater, an dem er als kaufmännischer Direktor gearbeitet hatte, an eine ausländische Firmengruppe verkauft worden war.
    »Aber ich habe echt keine Lust, in irgendeinem blöden Büro die Buchhaltung zu machen«, sagte Jörn.
    »Kann Sven nicht irgendwie …?«, hob Susann an. »Der kennt doch Gott und die Welt am Theater.«
    Susann sah an Jörns Gesichtsausdruck, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. Doch bevor sie nachfragen konnte, was denn los sei mit ihm und Sven, wurden sie von einem lauten Geschrei aufgeschreckt.

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