Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
na«, tadelte Dille sie scherzhaft. »Auf den abendlichen Wein musst du jetzt aber ein paar Monate verzichten.«
Petra griff nach dem Weinglas und trank demonstrativ einen großen Schluck. »Ich bekomme das Kind nicht. Ich lass es wegmachen. Ich hab drei durch. Jetzt bin ich mal dran.«
Dille starrte sie fassungslos an.
* * *
Nele gab ihrem Papa einen Abschiedskuss und ging durch das Schultor. Sie drehte sich noch einmal um. Papa winkte ihr nach. Nele winkte zurück. Ihr Papa machte eine ulkige Grimasse, und Nele musste lachen. Papa war ein Quatschkopf, sagte Mama immer. Da hatte sie recht.
Nele ging gerne in die Schule. Einigermaßen. Es war allerdings nicht ganz die supertolle Veranstaltung, die ihr versprochen wurde, als sie vor drei Monaten mit der Schultüte im Arm in der Aula gesessen und die Rektorin den versammelten Kindern und ihren Eltern vorgeschwärmt hatte, wie viel Spaß sie alle haben würden. Das war echt eine ziemliche Übertreibung gewesen. Aber Erwachsene übertrieben ja ständig, das hatte Nele längst durchschaut.
Nee, der Spaß konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Pausen, wo Nele mit ihren Freunden und Freundinnen herumtoben konnte. Im Unterricht langweilte sie sich dagegen oft. Nele konnte bereits ziemlich gut lesen, und kleine Zahlen zusammenrechnen fiel ihr auch nicht schwer. Ihr blieb also viel Zeit, um aus dem Fenster zu schauen und ihren Gedanken nachzuhängen, während ihre Mitschüler sich mit der komplexen Problematik quälten, wie viele Gummibärchen Peter noch blieben, wenn er von seinen sieben Stück vier abgeben musste. Tim, der ganz hinten in der Klasse saß und alles über alle Pokémon-Monster wusste, sagte, er würde einfach niemandem Gummibärchen abgeben. Das wären doch seine. Und sieben wären ja eh voll wenig. Davon auch noch welche abgeben? Niemals! Nele dachte, dass Tim bestimmt mal sehr fett werden und schlechte Zähne kriegen und nicht viele Freunde haben würde.
Nele bekam selten Gummibärchen. Mama brachte höchstens mal diese wabbeligen Dinger aus dem Reformhaus mit, wo keine Gelatine drin war. Die waren mit Rohrzucker oder so was und schmeckten, als ob man in eine Qualle biss. Wenn Nele auf einen Kindergeburtstag eingeladen war, stürzte sie sich immer sofort auf die Haribos, die überall herumstanden.
Nele schaute also aus dem Fenster. Da stand das Klettergerüst, das vor einem Monat feierlich eingeweiht worden war. Zur Finanzierung des Gerüsts hatten die Kinder einen Benefiz-Flohmarkt veranstaltet, und viele Eltern hatten Geld gespendet. Auch Neles Papa und Mama hatten Geld gegeben. Papa hatte erzählt, dass viele von den Eltern der Viertklässler gesagt hatten, dass sie kein Geld geben wollten, weil ihre Kinder ja sowieso bald nicht mehr zur Grundschule gehen würden und dann gar nichts mehr von dem Gerüst hätten. Das hatte Nele eingeleuchtet. Doch dann hatte Papa erzählt, wie er bei der Elternratssitzung gesagt hatte, es gehe doch nicht darum, dem eigenen Kind ein Spielzeug zu kaufen, sondern darum, etwas für die Allgemeinheit zu tun. Man würde ja auch nicht Geld für Afrika spenden und dann verlangen, dass einem die hungernden Kinder etwas von dem Reis abgeben. Das hatte Nele auch eingeleuchtet. Manchmal war das echt nicht so leicht mit dem Richtig und Falsch, mit dem Ja oder Nein, mit dem Gut und Böse. Es war ganz schön kompliziert, das Leben, dachte Nele.
Ganz oben auf dem Klettergerüst hangelte Jegor. Jegor ging in die Zweite. Es war der Junge, der Nele gestern im Sandkasten geärgert hatte. Was machte er da draußen? Jetzt war doch keine Pause? Jetzt war doch Unterricht. Jegor war ziemlich klein für sein Alter. Er saß ganz oben auf dem Klettergerüst, saß auf dem obersten Seil und streckte sich, als wolle er noch höher hinauf. Als wolle er an einem unsichtbaren Seil weiterklettern. Bis in den Himmel.
Nele beobachtete, wie eine Lehrerin über den Pausenhof zum Klettergerüst lief und Jegor rief. Sie schaute zu ihm hoch und schimpfte mit ihm. Nele konnte nicht verstehen, was sie sagte, weil die Fenster geschlossen waren, doch die Lehrerin wollte offenbar, dass Jegor herunterkam. Aber Jegor wollte nicht. Er sah wütend aus. Die Lehrerin rief wieder etwas, und Jegor guckte weg, schaute ganz woanders hin. Dabei schrie er etwas, das Nele nicht verstehen konnte. Es musste etwas sehr Freches gewesen sein, denn die Lehrerin war nun echt sauer. Sie war sauer, weil sie ratlos war. Sie konnte ja nicht auf das Gerüst klettern und ihn
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