Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
kleine Gruppe.
»Ich hätt euch ohnehin gleich gerufen«, flüsterte Nathan. »Da ist etwas, was ich euch zeigen möchte. Sieht ganz so aus, als wärt ihr nicht die Einzigen, die dem Baderhaus diese Nacht einen Besuch abstatten wollten.«
Der Bettlerkönig zog Simon und Magdalena am Arm und führte sie auf die andere Seite des abgebrannten Gebäudes, wo sie sich gemeinsam hinter eine zusammengefallene Steinmauer kauerten. Dann deutete er auf eine Gestalt im schwarzen Umhang, die wie eine Fledermaus an der Wand eines der Nachbarhäuser klebte.
»Meine Jungs haben ihn zunächst gar nicht gesehen«, zischte Nathan. »Muss sich schon die ganze Zeit hier herumtreiben. Ich glaube, der hatte denselben Plan wie ihr. Na ja, jetzt wird er wohl nichts mehr finden.«
»O Gott, Simon!«, flüsterte Magdalena. »Das ist der Fremde aus dem Garten von Silvio! Der Mann, der versucht hat, mich umzubringen! Er kommt näher!«
Nathan hob beschwichtigend die Hände. »Keine Sorge, ihr habt ja mich und meine Jungs.«
»Deine Jungs sind blinde, verkrüppelte Greise«, zischte Simon. »Was sollen die schon groß ausrichten?«
»Na,sieh selbst.«
Der Bettlerkönig zeigte auf einen Hauseingang, in dem zwei seiner Männer auf den Stufen herumlungerten. Als der Fremde näher kam, um sich die Ruine genauer anzusehen, wankten sie mit schlingernden Schritten auf ihn zu. Simon erkannte, dass einer von ihnen der Verrückte Johannes war, die rechte Hand Nathans.
»Guter Mann, ein kleines Almosen für einen alten Landsknecht, der sein Augenlicht vor Rheinfelden verloren hat«, krächzte Johannes, der nun wirklich wie ein heruntergekommener Söldner wirkte. »Nur einen Kreuzer für einen Becher warmen Wein.«
»Verschwinde!«, krächzte der Fremde. »Ich hab keine Zeit für dein Gewäsch!«
In der Zwischenzeit hatte der andere Bettler den Mann erreicht und rempelte ihn an. Der Fremde taumelte, im gleichen Moment zog der Verrückte Johannes seine Krücke hervor und schob sie ihm blitzschnell zwischen die Beine, so dass der Mann im schwarzen Umhang mit einem überraschten Schrei nach vorne stürzte. Nur Sekunden später kamen zwei weitere Bettler mit Krücken aus einem Hauseingang hervorgesprungen und hieben auf die Gestalt am Boden ein.
In einer einzigen fließenden Bewegung sprang der Fremde auf die Beine und zog sein Rapier. Die Bettler umkreisten ihn wie hungrige Hunde, jeder von ihnen bewaffnet mit einer Krücke, mit der sie zischend die Luft zerschnitten und den Mann auf Distanz hielten.
Plötzlich machte der Mann einen Ausfallschritt, täuschte eine Bewegung links an und stach rechts zu. Johannes stöhnte laut auf, als ihm die Klinge durch die Schulter fuhr.
Der Fremde mit dem Umhang nutzte die kurze Verwirrungund sprang auf einen Mistkarren, der links an einer Hauswand stand. Die Bettler warfen sich gegen den Karren und versuchten ihn umzuwerfen, doch der Mann hangelte sich zu einem geöffneten Fenster im ersten Stock hinauf und kletterte ins Innere des Gebäudes. Nur wenige Augenblicke später war er verschwunden. Ein spitzer weiblicher Schrei ertönte, dann hörte man polternde Schritte auf einer Treppe. Simon sah nach oben und erblickte den Fremden, der sich durch eine Luke zwängte und über die Dächer Richtung Donau rannte.
»Verdammt!«, rief Nathan. »Wir hatten ihn fast!«
Überall tauchten nun Bettler auf, die ihrem verwundeten Kumpan zu Hilfe eilten. Auch Simon hastete in seinem verrußten Rock hinüber zu Johannes. Als er ihn erreichte, merkte er sofort, dass es nicht gut um den Bettler stand. Die Klinge hatte seine rechte Schulter durchbohrt und war auf der anderen Seite wieder ausgetreten, Blut sickerte aus der Wunde. Erleichtert stellte der Medicus fest, dass es dunkles und kein helles Blut war. Wenigstens die Lunge schien demnach nicht getroffen zu sein.
»Helft mir!« Er winkte einige Bettler herbei. »Wir tragen ihn vorsichtig hinunter in die Katakomben. Ich will sehen, ob ich ihm dort helfen kann.«
Magdalena stand noch immer hinter der eingefallenen Mauer und blickte über die Dächerlandschaft Regensburgs, hinter der soeben eine rote Sonne aufging. So in Gedanken versunken war sie, dass sie den Jungen erst bemerkte, als er direkt vor ihr stand. Er war etwa zehn Jahre alt, rotblond und übersät mit Unmengen von Sommersprossen, die sein Gesicht wie von Schlamm besprenkelt aussehen ließen. Zuerst dachte sie, er sei wegen des eingestürzten Hauses gekommen, doch dann bemerkte sie, dass er nur Augen für sie
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