Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
Vom Netzwerk:
entkommen war? Er würde diese Stadt erst verlassen können, wenn er wusste, dass Magdalena in Sicherheit war.
    Jakob Kuisl spürte, wie ihm warmer Fruchtsaft über die Hosenbeine lief. Ohne es zu merken, hatte er den Apfel in seiner Hand zu Brei zerdrückt.
    Vom Erdgeschoss her war plötzlich Lärm zu hören. Jemand klopfte lautstark an die Haustür. Kurz darauf ertönte die Stimme der Dicken Thea.
    »Ja, ja, die Herren! Geduldet Euch doch! Meine Mädchen sind schon ganz wild darauf, Euch zu verwöhnen. Da läuft keine weg!«
    Jakob Kuisl zuckte zusammen. Die Ratsherren! Er hatte sie völlig vergessen! Kuisl hörte das Quietschen der Eingangstür, und kurz darauf Gelächter und lautes Stimmengewirr. Die Kupplerin hatte nicht gelogen, tatsächlich schien der halbe Rat heute auf teure Vergnügungen aus.
    »Immer hereinspaziert, die Herrschaften!«, dröhnte die Stimme der Dicken Thea durchs Treppenhaus. »Es ist für jeden etwas da. Heda, nach oben geht’s, nicht nach unten!«
    Instinktiv wich der Henker zurück, als Schritte auf der Kellertreppe zu hören waren. Doch schon bald wurden sie leiser und verloren sich wieder im ersten Stockwerk. Offensichtlich hatte sich nur jemand in der Richtung geirrt.
    Wenig später erklang von weiter oben Kichern und Kreischen. Die Mädchen nahmen ihre Freier in Empfang, irgendwo zerschellte ein Glas. Weiteres Türenklappern deutetean, dass sich die Männer mit ihren Gespielinnen in die Kammern zurückzogen. Jakob Kuisl wollte sich schon wieder hinter dem Weinfass verstecken, als es erneut klopfte. Vermutlich ein verspäteter Gast, der um Einlass bat.
    »Einen Augenblick, ich komm gleich!«
    Die Dicke Thea öffnete die Tür, um den Neuankömmling zu begrüßen.
    »Oh, welche Ehre!«, schnurrte sie. » Euch hab ich ja schon lange nicht mehr hier gesehen.«
    »Hatte viel zu tun in letzter Zeit«, knurrte der Mann. »Ich hoffe, du hast an die Geißeln gedacht.«
    »Natürlich hab ich, Dummerchen. Aber schlag diesmal nicht ganz so fest zu, hörst du? Sonst kostet’s noch einen Gulden extra. Die Mädchen haben sich schon beschwert.«
    Der Mann lachte leise, und das Klimpern von Münzen war zu hören.
    »Dann geb ich dir gleich zwei Gulden dazu«, flüsterte er. »Denn glaub mir, heut wird’s wehtun. Ich habe eine Wut im Bauch, dafür reicht ein Mädchen nicht aus. Lass uns schnell hochgehen.«
    Wie zu Eis erstarrt hatte der Schongauer Henker während des Gesprächs auf dem Boden des Kellers gekauert. Erst jetzt, als die Schritte des Unbekannten langsam leiser wurden, erwachte er wieder zum Leben.
    Kuisl kannte die Stimme dieses Mannes. Er kannte sie mittlerweile besser als seine eigene, viel zu oft hatte er sie in den Alpträumen der letzten Tage und Nächte gehört.
    Es war die Stimme des dritten Fragherren.
    Kurz nach Einbruch der Dunkelheit schlichen Simon und Magdalena auf Zehenspitzen durch den unterirdischen Versammlungsraum. Die Bettler hatten das Fässchen mit Branntweinbis auf den letzten Tropfen geleert und schliefen nun auf dem steinernen Boden ihren Rausch aus. Nur ab und zu wälzte sich einer röchelnd auf die andere Seite oder murmelte Unverständliches. Simon bahnte sich seinen Weg vorbei an abgenagten Knochen, zersplitterten Bechern und Lachen von Erbrochenem, wobei er tunlichst darauf achtete, keinen der Bettler mit dem Fuß zu berühren. In einer Ecke kauerte Nathan, mit gesenktem Kopf an die Wand gelehnt, den Tonhumpen vor der Brust. Einen Moment lang glaubte Simon, der Bettlerkönig sei noch wach. Doch dann ertönte ein langgezogenes Schnarchen und Rasseln, Nathan kippte wie ein gefällter Baum zur Seite und rührte sich nicht mehr.
    »Komm schnell!«, zischte Magdalena. »Lass uns von hier verschwinden. Wer weiß, wann einer von denen wieder aufwacht.«
    Simon drückte ihre Hand. »Einen Augenblick noch.«
    Er eilte hinüber zu der mit einem Vorhang verhüllten Wandnische, die ihnen in den letzten Tagen als Krankenzimmer gedient hatte, und packte seine medizinischen Utensilien zusammen. Magdalena beobachtete währenddessen nervös Nathan, der im Schlaf zuckte und sich gelegentlich die Lippen leckte. Die Hand des Bettlerkönigs glitt über den Boden, ganz so, als suchte sie den Tonbecher, der ihr gerade entglitten war.
    »Mach schon!«, flüsterte sie. »Ich glaub, er kommt wieder zu sich!«
    »Hab’s gleich.« Hektisch griff Simon nach seinen Büchern und ließ sie in den Sack gleiten. Als er nach dem schweren Wälzer von Dioscurides griff, entglitt der Band

Weitere Kostenlose Bücher