Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
seinen schweißnassen Fingern und fiel krachend zu Boden.
»Verdammt!«
Er bückte sich und sah aus den Augenwinkeln, wie Nathanschläfrig eines seiner Augen einen Spaltbreit öffnete. Der Bettlerkönig schien weiterzuträumen, trotzdem hatte Simon das Gefühl, dass ihn das Auge vorwurfsvoll anstarrte. Im nächsten Augenblick war Magdalena bei Nathan und drückte ihm sanft den Becher zurück in die Hand. Leise vor sich hin murmelnd zog er das Gefäß wie eine Puppe an seine Brust und rollte sich auf die andere Seite. Bald darauf erklang gleichmäßiges, ruhiges Schnarchen.
»Deine verdammten Bücher!«, zischte Magdalena. »Irgendwann mach ich daraus noch einen Scheiterhaufen. Jetzt beweg dich endlich!«
Simon hievte sich den schweren Sack über die rechte Schulter und tappte auf den Durchgang zu, wo Magdalena bereits ungeduldig auf ihn wartete. Sie rannten den schmalen Gang entlang, bis sie zu der Treppe kamen, die nach oben auf den Hinterhof führte. Als sie die glitschigen, vermoosten Stufen emporhasteten, ertönte hinter ihnen plötzlich ein Schrei. Es war Nathan, der sich offenbar aufgerappelt hatte und ihnen gefolgt war.
»He, wartet! Wo wollt ihr hin?«
Simon und Magdalena antworteten nicht, sondern liefen weiter die steile Treppe empor. Als der Bettlerkönig merkte, dass sie vorhatten zu fliehen, begann er plötzlich zu rennen.
»Verflucht, was soll das?«, schrie er. »Ist das eine Art, sich von seinen Freunden zu verabschieden?«
Trotz seines betrunkenen Zustands war Nathan erstaunlich flink auf den Beinen. Er hastete auf die Treppe zu, nahm mehrere Stufen auf einmal und erwischte Magdalena gerade noch am Rockzipfel. Instinktiv schlug die Henkerstochter mit ihrem linken Fuß nach hinten aus und erwischte Nathan mitten im Gesicht. Ein knirschenderLaut ertönte, gefolgt von einem Schmerzensschrei. Offenbar hatte Magdalena ihrem Verfolger ein paar seiner goldenen Zähne ausgeschlagen.
»Verdammtes Henkersweib«, brüllte Nathan, wobei seine Stimme seltsam vernuschelt klang. »Das wirst du mir büßen! Meine Tschähne, meine schönen Tschähne!«
Sein Schimpfen ging in Heulen über, während er Teile seines wertvollen Gebisses von den Stufen aufsammelte. Simon und Magdalena nutzten die Verschnaufpause, um den modrigen Karren über dem Loch wegzuschieben.
»Tut mir leid!«, rief die Henkerstochter kleinlaut nach unten. »Aber sie waren sowieso schief. Simon setzt dir schon bald neue ein, versprochen!«
Draußen war es bereits Nacht, über den Himmel zogen Wolken und verdeckten die Sterne. Die beiden kletterten nach draußen, sprangen über stinkende Haufen von Unrat und rannten über den Hinterhof auf einen schmalen Durchlass zu.
Bald darauf waren sie in den dunklen Gassen der Stadt verschwunden.
Noch immer stand Jakob Kuisl wie ein Fels in der Mitte des Kellers unter dem Hurenhaus.
Er war sich absolut sicher: Sein Widersacher befand sich direkt über ihm! Der dritte Fragherr war in irgendeiner der oberen Kammern verschwunden und vergnügte sich dort mit den Dirnen.
Ich habe eine Wut im Bauch, dafür reicht ein Mädchen nicht aus …
Diese Stimme würde Kuisl nie wieder vergessen.
Was sollte er jetzt tun? Sein Feind war nicht allein dort oben. Im Gegenteil, der halbe Rat, einige Soldaten aus dem Peterstor und ein Haufen lärmender Hübschlerinnen leistetenihm Gesellschaft. Wenn Kuisl jetzt nach oben ging, würde er mit ziemlicher Sicherheit gefasst werden.
Jakob Kuisl schloss die Augen und sah in die Zukunft. In Ketten würden ihn die Büttel zurück in die Zelle schleifen, Dunkelheit, Folter und Schafott wären diesmal unausweichlich. Wahrscheinlich würde er auf der Streckbank verraten, wer ihm zum Ausbruch verholfen hatte. Der Regensburger Scharfrichter würde sich mit jeder Raddrehung, mit jedem Zwicken und Brennen selbst näher auf den Abgrund zubewegen.
Und meine Tochter wird diesem Wahnsinnigen schutzlos ausgeliefert sein …
Jakob Kuisl wusste, dass er all dies nicht riskieren wollte. Aber er konnte auch nicht hierbleiben, während der leibhaftige Teufel nur zwei Stockwerke über ihm mit Geißeln auf ein paar Hübschlerinnen eindrosch. Allein diese Stimme würde ihn verrückt machen.
Also musste er fort, und zwar auf der Stelle. Doch wohin? Der einzige Fluchtort, der ihm einfiel, war das Haus des Regensburger Scharfrichters. Außer Teuber gab es in Regensburg niemanden, dem er traute. Im Henkershaus konnte er vielleicht so lange bleiben, bis er wusste, dass Magdalena in Sicherheit
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