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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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war.
    Probeweise ließ Kuisl seine eingerenkte Schulter kreisen und streckte den Rücken durch. Sein Körper fühlte sich nach wie vor an, als wäre er aus großer Höhe von einem Hausdach gefallen. Doch die Schmerzen waren dank Teubers Verbänden und der Wundsalbe nicht mehr ganz so schlimm. Wenn er nicht zu schnell rannte, sich auf seinem Weg Zeit ließ und in den Hauseingängen und Mauernischen immer wieder rastete, sollte er es eigentlich bis zum Haus der Teubers schaffen. Glücklicherweise hatte ihm der Scharfrichter während eines ihrer Gespräche in derZelle den Namen der Gasse verraten, in der er wohnte. Teuber hatte von seinem schmucken Häuschen, seiner Frau und seinen fünf süßen Kindern geschwärmt. Jetzt würde Kuisl endlich Gelegenheit haben, sie kennenzulernen.
    Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, tappte der Henker die Treppe hoch, bis er schließlich vor der schweren Eingangstür stand. Leise schob er den Riegel zurück und blickte hinaus in die wolkenverhangene Nacht. Trotz der angenehm kühlen Temperaturen stank es auch jetzt noch nach Unrat und Fäkalien, doch dahinter nahm Jakob Kuisl den Geruch von Kornfeldern, Wiesen, Auen und Wäldern wahr. Schon bald würde er dorthin zurückkehren können.
    Er wollte gerade auf die Gasse hinaustreten, als von oben Türenschlagen zu hören war.
    »He, Thea, mehr Wein! Das freche Biest hier hat alles allein ausgesoffen! Dafür dreh ich dem Flittchen den Hals um.«
    Die Tür im Obergeschoss schloss sich mit einem Krachen, und Kuisls rechter Fuß verharrte über der Schwelle.
    Es war wieder die Stimme gewesen. Die Stimme aus seinen Alpträumen.
    Wie von einer magischen Kraft gezogen, machte er die Eingangstür von innen zu und schlich die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Er musste einfach einen Blick wagen, er musste seinem Feind ins Angesicht schauen, und sei es nur für einen kurzen Augenblick. Die Geister der Vergangenheit würden sonst nie Ruhe geben.
    Nach zwei Dutzend Stufen endete die steinerne Wendeltreppe in einem von einer Fackel erleuchteten, weiß verputzten Vorraum, von dem aus vier Türen abgingen. Hinter jeder war Kichern, Schreien oder leises Stöhnen zu vernehmen.Eine weitere Treppe führte ins zweite Stockwerk, auch dort wurde lautstark gefeiert.
    Zögernd blieb Kuisl stehen. Die Stimme war eindeutig aus dem ersten Stock gekommen. Hinter einer dieser vier Türen musste der Mann sein, den er suchte.
    Offenbar hatte die Dicke Thea das Rufen des Fremden nicht gehört, jedenfalls brachte weder sie noch eines ihrer Mädchen einen frischen Krug Wein. Jakob Kuisl näherte sich vorsichtig der ersten Tür und hielt sein Ohr daran. Er vernahm heftiges Atmen und kleine, schrille Schreie. Von der Stimme war nichts zu hören.
    Er wandte sich dem nächsten Raum zu und lauschte auch hier an dem dünnen Holz. Tatsächlich flüsterte dahinter jemand einige unverständliche Worte, es klang wie ein heißer Liebesschwur. Konnte das der Mann sein, den er suchte? Kuisl war sich nicht sicher, er versuchte einen Blick durch das Schlüsselloch zu erhaschen.
    In diesem Augenblick ging die Tür auf und knallte mit voller Wucht gegen seine Nase. Mit den Händen rudernd fiel der Henker nach hinten um.
    »Wer zum Teufel …?«
    Der junge Mann vor ihm hatte die Hose heruntergezogen und den Rock geöffnet, so dass sein bleicher, unbehaarter Schmerbauch vor Kuisl auf und ab wippte. Die dünnen weißblonden Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, sein Mund schnappte nach Luft wie ein fetter Karpfen.
    »Muss mich wohl in der Tür geirrt haben«, murmelte der Henker und richtete sich vorsichtig auf. »Nix für ungut.«
    Er war sich selbst darüber im Klaren, dass er nicht gerade wie ein betrunkener Ratsherr aussah. Betrunken vielleicht, aber auf keinen Fall wie ein selbstzufriedener, gutgenährter Patrizier kurz vor dem Höhepunkt. Aber vielleichtließ sich der beschwipste Freier trotzdem täuschen.
    Der Mann schloss seinen Mund und musterte sein Gegenüber jetzt mit unverhohlener Angst. Nacktes Entsetzen zeichnete sich auf seinem teigigen Gesicht ab.
    »Du … du … bist doch der Kuisl, nicht wahr?«, flüsterte er.
    Der Henker schwieg trotzig, während helles Blut von seiner Nase zu Boden tropfte. So viel war sicher – das windige Bürschlein vor ihm war nicht der dritte Unbekannte, er hatte eine andere Stimme, außerdem wirkte er eher brav. Trotzdem kam er ihm irgendwie bekannt vor. Schließlich erkannte ihn Kuisl an seinem bayerischen Dialekt.
    Es war Joachim

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