Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
in die Ackerfurchen sickert wie Sommerregen. Das Schreien der Verwundeten, der dumpfe Lärm der Kanonen, der scharfe Geruch des Schießpulvers … Deutsche, Kroaten, Ungarn, Italiener, Franzosen, Spanier, vereint zu einem vielstimmigen, brüllenden Monstrum. Vorne die Pikeniere mit ihren fünf Schritt langen Spießen, dahinter die Musketiere und Dragoner, die hoch zu Pferd mit ihren Degen auf die hin und her wogende Masse einhauen.
Er ist Jakob, der Sohn des Henkers. Der Mann mit dem Bihänder. In seinem Ranzen steckt der Meisterbrief vom langen Schwert. Er ist ein Doppelsöldner, ein Feldweibel, ihr Anführer.
Er ist einer von ihnen.
Wenn sie vor den Toren der Stadt lagern, ist das Land ringsherum eine einzige schwärende Wunde. Die Dörfer verlassen und verbrannt, die Bauern krepiert oder in die Wälder und Sümpfe geflohen. Manchmal fangen seine Männer eine zerlumpte Kreatur und hängen den armen Burschen kopfüber ins Feuer. Wo ist dein Vieh? Spuck’s aus! Wo hast du das Silber versteckt? Wo sind die Weiber? Red! Sie stecken dem Bauern ein Rohr in den Schlund und gießen Gülle hinein, bis er daran erstickt. Spuck’s aus! Red! Verreck, du Sauhund! Sie nehmen, was sie kriegen können, und setzen den armseligen Hütten noch den roten Hahn aufs Dach.
Wie oft hat er aus der Ferne zugesehen? Wie oft sind seine Männer mit blutbefleckten Röcken zurück ins Lager geritten, ein irres Funkeln in ihren Augen? Nie hat er gefragt. Er hat geschwiegen, weil der Krieg nun mal so ist. Weil die Männer nagenden Hunger und Lust auf Weiber haben und das lange Warten sie zornig macht. Weil er weiß, dass sie ihn nur wegen seiner Stärke und seines Muts respektieren. Weil er das Strafen fürchtet … Weil …
Weil er Angst hat?
Jakob Kuisl hielt es nicht mehr aus, er musste raus hier. Keuchend rappelte er sich auf und stemmte seinen Leib gegen das Weinfass vor dem niedrigen Eingang. Durch seine erst gestern eingerenkte Schulter pulsten Wellen von Schmerz, die Wunden an den Armen und Beinen brannten wie Feuer. Von außen hätte er das Fass vielleicht zur Seite rollen können, doch von dieser Seite blieb ihm nichts anderes übrig, als den zentnerschweren Behälter mit aller Kraft von sich wegzudrücken. Kuisl stemmte die Beine in den Boden und drückte mit dem verbundenen Rücken gegen die Holzwand. Er biss sich auf die Lippen, um nicht vor Schmerzen laut aufzuschreien.
Ein leises Knirschen ertönte, schließlich bildete sich zwischenFass und Wand ein Spalt, durch den graues Zwielicht hereinströmte.
Noch einmal warf sich der Henker gegen die Holzwand, endlich war der Spalt breit genug, dass er hindurchschlüpfen konnte. Auf der anderen Seite ließ er sich auf dem Boden nieder und atmete schwer. Der Raum um ihn herum begann sich zu drehen. Er schloss die Augen und wartete, bis das Schwindelgefühl nachließ.
Das Stemmen des Weinfasses hatte ihm viel von der Kraft geraubt, die er in den letzten Stunden gesammelt hatte. Doch mittlerweile war er wenigstens wieder in der Lage, ohne Hilfe aufzustehen und umherzugehen. Er richtete sich auf und sah sich in dem feuchten Keller um. Eine blakende Fackel nahe der Treppe, die nach oben führte, spendete trübes Licht. Neben den Weinfässern standen, aufgereiht an der Wand, Fässer mit Kraut; geräucherte Würste und Schinkenkeulen hingen von der niedrigen Decke. In Körben lagerten auf Stroh getrocknete Kirschen, Zwiebeln und runzlige Äpfel vom Vorjahr. Jakob Kuisl nahm sich einen der Äpfel und biss hinein.
Er schmeckte köstlich.
Während der Henker das saftige Fruchtfleisch zwischen den Zähnen zermalmte, überlegte er, was er nun tun sollte. Draußen mochte es mittlerweile Nacht sein. Er könnte die Treppe hinaufgehen, zur Tür hinausmarschieren und in der Dunkelheit verschwinden. Allerdings war fraglich, wie weit er dort draußen kommen würde. Wenn die Dicke Thea recht hatte und Kuisl tatsächlich noch zweier weiterer Morde verdächtigt wurde, war vermutlich jeder Büttel der Stadt hinter ihm her. Die Tore wurden sicher gut bewacht. Möglich, dass er über die Donau fliehen konnte. Kuisl war ein guter Schwimmer, und die Strömung war jetzt im Sommer nicht so stark wie in den Frühjahrsmonaten.Vielleicht konnte er auch über die Stadtmauer entkommen. Doch es gab etwas, was ihn daran hinderte, sofort die Flucht zu ergreifen.
Magdalena.
Wo steckte sie? War sie vielleicht schon in der Gewalt dieses Wahnsinnigen? Fügte er ihr nun Schmerzen zu, jetzt, da sein Widersacher
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