Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
sicher, wenn wir erst einmal wissen, was es mit diesen alchimistischen Experimenten auf sich hat, kommen wir dem Geheimnis schnell auf die Spur. Erst dann können wir die Unschuld deines Vaters beweisen.«
»Und wenn nicht, war alles für die Katz!« Magdalena schüttelte den Kopf. »Nichts da! Mein Vater ist frei. Warum soll ich ihn jetzt wieder in Gefahr bringen?«
»Schau ihn dir doch an!« Simon deutete auf Jakob Kuisl, der schwer atmend und mit gesenktem Haupt hinter einem der Weinfässer kauerte. »Wir können froh sein, wenn wir es überhaupt noch bis zum Bischofshof schaffen! Dort wird dein Vater wenigstens kuriert.«
Plötzlich war das Rufen der Wachen ganz nah, Schritte erklangen auf dem lehmigen, festgetretenen Boden. Im nächsten Augenblick sah Magdalena, wie zwei Büttel um die Ecke stürmten und in die Gasse einbogen. Sie hielt den Atem an, als sie spürte, wie ihr Vater sich gegen das Fass lehnte, das auf diese Weise immer weiter nach vorne kippte. Nur noch wenige Zentimeter, und es würde schepperndzu Boden fallen. Mit ihrer ganzen Kraft zog sie ihn zu sich heran. Die Büttel eilten vorüber und verschwanden gleich darauf in der Dunkelheit.
»Also gut«, zischte Magdalena. »Wir machen es so, wie du gesagt hast. Aber wenn meinem Vater auch nur ein Haar gekrümmt wird, schläfst du die nächsten Jahre allein im Bett!«
Simon lächelte. »Glaub mir, darüber mach ich mir zurzeit am wenigsten Sorgen. Jetzt komm, lass uns den schnarchenden Riesen wecken.«
Sie gaben Jakob Kuisl ein paar Ohrfeigen, bis dieser wieder halbwegs zu sich kam. Dann hakten sie sich links und rechts bei ihm unter.
»Wir schleppen ihn auf dem schnellsten Weg zum Domplatz«, flüsterte Simon. »Die Leute werden hoffentlich glauben, dass wir einen betrunkenen Freund nach Hause begleiten.«
»Nehmt … eure … Pratzen … weg«, murmelte der Henker. »Kann … selber laufen.«
»Stell dich nicht so an, Vater«, sagte Magdalena. »Tut dir ganz gut, wenn du dir auch mal von deiner Tochter helfen lässt. Bist schließlich nicht mehr der Jüngste.«
»Rotzfreches … Miststück.«
Stöhnend sackte Jakob Kuisl in die Arme von Simon und Magdalena; er hatte jegliche Gegenwehr aufgegeben. Die Henkerstochter bezweifelte, dass er überhaupt mitbekam, was sie mit ihm vorhatten.
»Los jetzt!«, zischte Simon. »Bevor wieder die Wachen auftauchen.«
Mit vereinten Kräften hoben er und Magdalena den leblosen Körper an und stolperten mit ihrer schweren Last durch das dunkle Regensburg. Dabei brach Jakob Kuisl mehrere Male zusammen, so dass sie immer wieder stehenbleibenmussten. Zweimal begegneten ihnen Wachen, die mit Fackeln die Nischen und Hauseingänge absuchten. Doch jedes Mal machten die Männer einen weiten Bogen um die drei vermeintlich Betrunkenen. In dieser Nacht hatten sie anderes zu tun, als sich mit ein paar Zechern abzugeben.
Nach einer bangen Viertelstunde erreichten Simon und Magdalena endlich den menschenleeren Krauterermarkt, wo sich der Eingang zum bischöflichen Palast befand. Enttäuscht starrten sie auf die fast drei Schritt hohen Türflügel, die fest verschlossen schienen.
»Verflucht!«, zischte Magdalena. »Das hätten wir uns ja denken können.«
Von der Ferne betrachtet wirkte das schwere, mit Eisen beschlagene Portal etwa so einladend wie das Tor zur Hölle. Schwarz ragte es empor, darüber thronte ein Spitzbogen mit Erker, auf dem verschiedene Wappen zu sehen waren. Im linken Türflügel befand sich eine kleine, ebenfalls versperrte Luke.
»Wie willst du da reinkommen?«, hakte Magdalena nach. »Einfach anklopfen?«
»Du vergisst, dass ich die Einladung des bischöflichen Braumeisters habe.«
»Ja, für dich. Aber eine Henkerstochter und ein geflohener Massenmörder stehen da nicht drauf.«
Simon rollte mit den Augen. »Sei doch nicht immer gleich so launisch. Bis jetzt war es dein Plan, jetzt ist es meiner . In Ordnung?«
»Und was willst du tun, Schlaumeier?«
»Lass uns erst mal deinen Vater an eine Hauswand lehnen. Mir fallen gleich die Arme ab.«
Vorsichtig bugsierten sie Jakob Kuisl in eine Häusernische, wo er für mögliche Passanten kaum zu sehen war. DasGesicht des Henkers war aschfahl, Schweißperlen standen auf seiner Stirn; trotzdem blieb er einigermaßen aufrecht an der Wand stehen.
»Glaubt Ihr, Ihr könnt ein kleines Stück aus eigener Kraft laufen?«, fragte Simon.
Als Kuisl mit zusammengebissenen Lippen nickte, erläuterte der Medicus in leisen Worten, was er vorhatte.
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