Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
sein, im sogenannten Henkersgässchen, mehr wusste Kuisl nicht. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er sich bislang noch keinerlei Gedanken gemacht hatte, wie er das verfluchte Henkershaus überhaupt finden sollte. Jemanden fragen konnte er schlecht, und Straßenschilder gab es in dieser Drecksstadt keine. Im Grunde blieb ihm nichts anderes übrig, als durch die Gassen zu streifen und darauf zu hoffen, dass er mit der Nase auf das Haus stieß.
Was für ein dreimal vernagelter, saublöder Plan!
Jakob Kuisl fluchte über seine eigene Dummheit. Warum hatte er Teuber nicht genauer nach der Lage des Henkershauses gefragt? Er konnte eigentlich nur hoffen, dass er mitten in der Nacht auf einen anderen zwielichtigen Gesellen stieß, der sich seiner erbarmte und ihm weiterhalf.
Und mich bei der nächstbesten Gelegenheit bei den Bütteln verpfeift …
Geducktund nach allen Seiten Ausschau haltend, schlich der Henker durch das Viertel, das an das Peterstor angrenzte. Die Häuser hier waren klein und geduckt, die Gärten überwuchert; immer wieder tauchte eine von Asche geschwärzte Ruine im Mondschein auf – Überbleibsel des Krieges und der letzten Pestwelle vor einigen Jahren, die viele Bewohner dahingerafft hatte, so dass die Gebäude nun verfielen. Noch immer läuteten die Glocken, von fern waren jetzt auch Schreie und Rufe zu hören.
Sie waren ihm auf der Spur, viel Zeit blieb ihm nicht mehr.
Kuisl bewegte sich auf eine Hausecke zu, da bogen plötzlich zwei Wachen in das Gässchen ein. Die beiden mit Hellebarden bewaffneten Männer waren mindestens ebenso überrascht wie er. Dem jüngeren der beiden fiel vor Schreck der Helm zu Boden, der andere nestelte nervös an seinem Gürtel, an dem eine mit Grünspan befleckte Radschlosspistole hing. Kuisl konnte nur hoffen, dass die Waffe nicht geladen war.
»Hierher! Hierher!«, schrie der Jüngere. »Wir haben ihn! Das Monstrum ist hier!«
Sein älterer Kollege war immer noch mit seiner Pistole beschäftigt, die sich am Gürtel verhakt hatte. Unvermittelt löste sich ein Schuss, der Mann schrie und stürzte zu Boden, wobei er sich jammernd an den rechten Stiefel griff. Offenbar hatte er sich selbst am Zeh getroffen.
Jakob Kuisl versuchte die allgemeine Verwirrung zu nutzen und rannte auf die Straße hinaus. Doch er war kaum in der Mitte angelangt, als auf der gegenüberliegenden Seite zwei weitere Büttel auftauchten. Einer von ihnen hielt eine Armbrust in Augenhöhe an die Schulter, kurze Zeit später zischte ein Bolzen nur um Haaresbreite an Kuisls rechtem Ohr vorbei.
DerHenker setzte alles auf eine Karte. Laut brüllend rannte er den zwei neu hinzugekommenen Wachen entgegen, in der Hoffnung, dass der zweite Mann keine geladene Armbrust oder Pistole bei sich hatte. Die Büttel erwarteten ihn mit nach vorne gerichteten Spießen, in ihren Blicken konnte Kuisl Angst gemischt mit Jagdfieber erkennen.
»Alle Mann in die Pfaffengasse!«, brüllte einer von ihnen. »Er ist in der Pfaffengasse! Hierher! Er ist …«
Jakob Kuisl nahm alle Kraft zusammen. In einem einzigen Satz hechtete er über die Spieße hinweg und verpasste dem schreienden Wachmann eine Maulschelle, die ihn wie einen gefällten Baum zu Boden streckte. Der andere ließ daraufhin seinen Spieß fallen und zog einen Hirschfänger, um ihm dem Henker in den Leib zu rammen. Doch Kuisl trat wie ein Pferd um sich und erwischte seinen Gegner in der Magengrube. Stöhnend ging der Büttel zu Boden.
Als der Henker sich umdrehte, sah er, dass mittlerweile immer mehr Wachen in die Gasse strömten. Verzweifelt wandte er sich nach links, wo unter einem niedrigen Torbogen ein schmaler Weg weiterzuführen schien. Ohne lange nachzudenken, rannte er in das Gässchen und stand schon bald darauf in einem Innenhof, der auf drei Seiten von hohen Häusern umgeben war.
Er war in eine Sackgasse gelaufen.
Kuisl blickte sich um und sah drei, vier Büttel, die mit erhobenen Hellebarden unter dem Torbogen auf ihn zuschritten. Sie hatten keine Eile, um ihre Lippen spielte ein kaltes Lächeln, ihre Augen schienen zu glänzen. Endlich hatten sie das Wild gestellt, jetzt würden sie es abstechen.
Jemand warf eine Fackel in die Mitte des Hofs, wo sie liegen blieb und Kuisls Schatten überlebensgroß an die Wandhinter ihm warf. Im flackernden Licht war der Henker jetzt ein leichtes Ziel.
Ein Armbrustbolzen zersplitterte im Putz neben ihm, ein weiterer folgte. Aus den Augenwinkeln sah sich der Henker nach einer Fluchtmöglichkeit um. Es gab
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